Deutsches Team bei der Handball-EM: Frische plus Heimvorteil
Das deutsche Team gewinnt klar gegen Nordmazedonien. Für einen Sieg gegen Titelfavorit Frankreich bestehe aber noch deutlich Verbesserungsbedarf.
„Alles“ müsse besser werden, sagte Bundestrainer Alfred Gislason auf die Frage, wie er auf das nächste Spiel blicke. Das klang ziemlich unzufrieden, wenn man im Kopf hatte, dass die deutsche Handball-Nationalmannschaft doch eben weitgehend überzeugend gegen Nordmazedonien gewonnen hatte.
Jedenfalls feierten die 13.500 Fans in der Arena am Ostbahnhof die deutschen Januar-Lieblinge; im Netz konnte man lesen, sie hätten sich in einen Rausch gespielt. Gut, nach dem überraschend hohen 27:14 gegen die Schweiz am Donnerstag beim Weltrekordspiel in Düsseldorf vor mehr als 50.000 Menschen war dieses 34:25 am Sonntagabend teilweise wieder ein Spektakel von hohem Unterhaltungswert.
Aber es gab eben auch einige dieser „schwarzen Löcher“, wie der Bundestrainer sie bezeichnet – Situationen, in denen das Team den Faden verliert, Fehler en masse produziert und den Gegner zurück ins Spiel holt. Selbst Nordmazedonien gelangen im Verlauf der Partie drei Phasen mit einigen Toren am Stück; ein stärkerer Gegner hätte die Deutschen da sicher ärger in Bedrängnis gebracht, als nur den Rückstand von sieben auf fünf abzuschwächen.
Mit einigen Paraden des eingewechselten Torwarts David Späth und klugen Aktionen (und Toren) von Spielmacher Juri Knorr zog die erste Auswahl des deutschen Handballbundes doch in der 46. Minute auf 27:20 davon. Sie stellte den zweiten Sieg im zweiten Spiel dieser EM sicher und qualifiziert sich damit für die Hauptrunde in Köln. Dort geht es am Donnerstag weiter; wahrscheinlich gegen Kroatien, Spanien, Island und Ungarn.
Der Angstgegner Frankreich
Ein Teilziel ist also erreicht. Doch um den erhofften Weg bis ins Halbfinale fortzusetzen, muss im „Gruppenfinale“ an diesem Dienstag (20.30 Uhr, live in der ARD) gegen Frankreich nicht etwas oder einiges besser werden, sondern: alles. Bei einem Sieg nähme Deutschland die beiden Punkte mit in die Hauptrunde und hätte damit ein echtes Ass im Ärmel. Eine Niederlage gegen Angstgegner Frankreich wäre hingegen eine hohe Hypothek.
Bundestrainer Gislason wünscht sich vor allem mehr Hilfe für seine Torhüter. Stammkraft Andreas Wolff konnte am Sonntagabend auch deswegen nicht glänzen, weil die deutsche Defensive ihn im Stich ließ. Zu wenig Bewegung, zu wenig Absprache hatte Gislason gesehen – gegen die Schweiz hatte das Zusammenspiel zwischen Abwehr und Torwart noch wunderbar funktioniert. Und Wolff eine Halte-Quote von über 60 Prozent ermöglicht. Gegen die individuell stärkeren Franzosen um Starspieler Dika Mem wird es eine knifflige Mischung aus frühem Attackieren und Lückenschließen – ein Fall für das deutsche Abwehrgehirn Julian Köster.
Es wirkte, als habe es eine Abstimmung der gemeinsamen Wortwahl gegeben, als die Spieler und ihr Trainer in der Arena ihre Chancen gegen den abgezockten Rekordweltmeister taxierten. Eine „krasse Mannschaft“ seien die Franzosen um den bald 40 Jahre alten Anführer Nikola Karabatić, sagte Juri Knorr, der einige von ihnen aus gemeinsame Zeiten beim FC Barcelona kennt.
Und überhaupt warte nun eine „krasse Aufgabe“ auf sein Team. Bundestrainer Gislason sagte: „Die Franzosen haben eine auch in der Breite sehr starke Mannschaft. Sie sind neben den Dänen der Titelfavorit. Also sind sie auch gegen uns der Favorit. Wir haben Möglichkeiten, aber dann muss alles zusammenpassen.“
Die Newcomer als wichtige Rollenspieler
Und doch – trotz all dieser Sätze, in denen sich die Deutschen kleiner machten, als sie sind, hörte man zwischen den Zeilen etwas heraus, das Mut machte. „Unsere Frische kann helfen“, sagte der 21 Jahre alte Kreisläufer Justus Fischer. Der gleichaltrige Linkshänder Renars Uscins meinte: „Die haben uns Newcomer nicht auf dem Schirm.“ Vier Spieler aus dem Kreis der deutschen U21-Weltmeister vom Sommer 2023 hat Gislason bei dieser Heim-EM dabei; sie sind viel mehr als nur Kader-Auffüller. Sie sind anders als früher wichtige Rollenspieler.
Also – Frische gegen Erfahrung? Oder: Frische plus Heimvorteil gegen Erfahrung und Cleverness? Gislason sagte: „Frankreich macht eine volle Halle gegen sie wenig aus. Die kennen das alles aus ihren Spielen mit den Vereinen in der Champions League.“ Das klang souverän-abgehangen. Aber auch wie ein Ablenkungsmanöver: Trotz aller preisenden Sätze für den übermächtigen Gegner traut Gislason den Seinen sehr viel zu an diesem Dienstagabend. Vielleicht sogar „alles“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren