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Deutscher Diplomat über Afghanistan"Es war eine Selbstüberschätzung"

Warum Afghanistan nicht Vietnam ist: Michael Steiner, Sonderbeauftragter der Bundesregierung, über den geplanten Abzug der Bundeswehr aus Kundus.

Er wird gehen, das Strichmännchen bleibt: Bundeswehrsoldat in Afghanistan. Bild: dapd
Sven Hansen
Interview von Sven Hansen und Gordon Repinski

taz: Herr Botschafter, werden die aktuellen drei Skandale bei der Bundeswehr den Rückhalt in der Bevölkerung für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan weiter reduzieren?

Michael Steiner: Überhaupt nicht. Man muss unterscheiden zwischen den aktuellen Fällen und den schwierigen grundsätzlichen Fragen in Afghanistan.

Hier scheint zumindest bei den Bundestagsparteien vor allem das Datum der Truppenreduzierung wichtig: Wie wirkt die deutsche Abzugsdebatte auf Sie?

Sie wird verkürzt geführt. Wenn wir das Engagement nur unter dem Aspekt des Abzugs sehen, werden wir nicht erfolgreich sein. Abzug kann nur mit einer langfristigen Strategie erfolgreich sein.

Geht eine Truppenreduzierung 2011?

Das wollen wir erreichen. Es ist internationaler Konsens, in diesem Jahr mit der Sicherheitsübergabe zu beginnen, die 2014 beendet werden soll.

Und wahrscheinlich ist, dass der Abzug wirklich beginnt?

Das wird so sein. Es gibt keinen Grund, das zu konditionieren. Das würde weder bei uns noch in der Region mitgetragen werden. So ist die politische Realität. Daran hängt auch unsere Glaubwürdigkeit. Auch wenn es nie Garantien gibt.

dapd
Im Interview: MICHAEL STEINER

MICHAEL STEINER 61, ist seit April 2010 Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan. Der Spitzendiplomat koordinierte in den 90er Jahren die deutschen Friedensbemühungen auf dem Balkan. 1996/97 war er Erster Stellvertretender Hoher Repräsentant in Sarajevo, 2002/03 Chef der UN-Übergangsverwaltung im Kosovo.

Als außen- und sicherheitspolitischer Berater des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder wurde er 2001 nach der "Kaviar-/Arschlochaffäre" entlassen, in der ihm arrogantes Verhalten vorgeworfen worden war.

Es mehren sich die Stimmen, die sagen: In Afghanistan wurden grundsätzliche Fehler gemacht.

Ohne Frage haben wir alle - Journalisten, Politik, internationale Partner - in der Afghanistan-Politik Fehler gemacht. Wir haben uns überhoben in dem, was wir uns vorgenommen haben. Und was wir dachten, verändern zu können. Wir waren zu unbescheiden.

War es eine Illusion, mit einer westlichen Idee eines Staates in Afghanistan einzumarschieren?

Es war eine Selbstüberschätzung. Zum Beispiel in der Frage, wie weit man eine geschichtlich gewachsene Situation von außen nach seinen Vorstellungen verändern kann und darf.

Was nun?

Wir sind von den Blütenträumen runter. Von "Schweiz am Hindukusch" redet keiner mehr. Wir wollen hinreichende Sicherheit und fundamentale Menschenrechte durchsetzen. Das ist eine realistische Zielsetzung.

Was soll nach 2014 geschehen?

Das internationale Engagement muss weitergehen - aber ohne Kampftruppen. Die müssen dann durch trainierte afghanische Sicherheitskräfte und Polizei ersetzt sein.

Ist es nicht illusorisch, integre Sicherheitskräfte aufzubauen? - die Korruption grassiert?

Isoliert betrachtet ist das sicher illusorisch. Deshalb dürfen wir Afghanistan erst recht nicht fallen lassen. Das Training muss weitergehen. Auch nach dem Abzug der Bundeswehr.

Geht es nicht längst um einen gesichtswahrenden Abzug?

Das Gegenteil ist der Fall. Mit dem überschaubaren Zeithorizont haben wir gegenüber den 48 internationalen Partnern Argumente, zu sagen: Zusammen rein, zusammen raus. Hätten wir den Zeithorizont nicht, würden einige abspringen.

Morgen soll in Kabul das neugewählte Parlament eröffnet werden, vier Monate nach einer Wahl voller Manipulationen. Zeigt das Desaster der letzten Wahlen, massive Korruption, das immer problematischere Verhalten von Präsident Karsai und die anhaltende Schwäche demokratischer Institutionen, dass der Westen in Afghanistan auch politisch gescheitert ist?

Afghanistan liegt nicht in Europa. Es ist zweifelhaft, bei der afghanischen Geschichte unsere Ansprüche an Wahlen anzulegen. Selbstverständlich sind eine Million für ungültig erklärte Stimmen ein Indiz dafür, dass das Land längst nicht am Ziel ist. Aber die Wahlkommission hat sie eben für ungültig erklärt und sich damit viele Gegner verschafft. Das ist ein erster Schritt.

Vor einem Jahr wurde bei der Londoner Afghanistan-Konferenz beschlossen, Verhandlungen mit gemäßigten Taliban zu ermöglichen. Warum ist das bisher nicht gelungen?

Es gibt erste Erfolge bei der Reintegration. Aber ein politischer Prozess braucht seine Zeit. Es muss erst mal Vertrauen geschaffen werden. Das funktioniert nicht auf Knopfdruck. Wir werden auch länger als dieses Jahr brauchen.

Entwicklungsminister Niebel hat jetzt fast eine Verdopplung der Zahl der Entwicklungshelfer verkündet. Ist es bei der Korruption nicht riskant, plötzlich so viel Geld ins Land zu geben? Ja, das ist es. Einfach Geld hineinzuschütten ist kontraproduktiv. Aber wir geben keine Blankoschecks, sondern wollen Kontrollmechanismen. Wir wollen zugleich einen selbsttragenden Staat schaffen. Je mehr wir aber internationale Kontrolle einbauen, desto unmündiger machen wir die Afghanen.

Es klingt nach Dilemma. Müssen wir uns an den Gedanken der Niederlage gewöhnen wie einst an die Bezeichnung Krieg?

Nein. Heute zeigen alle Resolutionen das Engagement der internationalen Gemeinschaft. Es geht um den Erfolg der verfassten internationalen Gemeinschaft. Deshalb kann es auch gelingen. Afghanistan ist nicht Vietnam.

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7 Kommentare

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  • MD
    maria daubenbuechel

    demokratie läßt sich nicht aufpfropfen,das haben weder amerika noch europa verstanden.demokratie muß erarbeitet werden.das erfordert einen langen, mühsamen prozess.ob es für afganistan die richtige staatsform ist,wage ich zu bezweifeln. wie sieht es zum beispiel bei uns aus? vom ursprünglichen demokatiedenken ist nicht viel übrig geblieben.

  • W
    wolfgm

    Ihr habt den Krieg gegen das Afghanische Volk verloren,Eure installierte Pseudoregierung werdet Ihr wohl oder Übel mitnehmen müssen,denn sonst werden sie keinen Monat überleben.

    Mit Wahlfälschungen und Bomben kann man keine Menschen überzeugen.und hier bei uns sollten wir diese Kriminellen Politiker die für den Krieg gestimmt haben zur Verantwortung ziehen in einem Kriegsverbrecher-Tribunal.Als Richter Afghanen deren Frauen ,Väter und Kinder Ihr getötet habt.

  • Q
    Querulant

    Dass die Demokratisierung von außen schief gehen wird war mir schon klar als die USA Afghanistan angegriffen und besetzt haben... wo keine eigene demokratische Kultur vorhanden ist kann man sie auch nicht von außen heran tragen. Abgesehen davon hatten die USA und der Westen im Allgemeinen doch nie ernsthaft Interesse an einem demokratischen Afghanistan. Denen war doch viel mehr an einer gefügigen Marionettenregierung gelegen...

     

    Heuchler, alles Heuchler!

  • B
    Balibago

    Leider sind in BRD nur Traumtaenzer und -deuter an der macht

  • V
    vic

    Ich glaube eher, das Strichmännchen geht und "er" bleibt.

  • B
    BWler

    Der Kommentar von Holzer ist schon interessant. Er widerspricht eigentlich, dass Afghanistan Vietnam ist.

    Wenn die "fortschrittliche" Abgeordnete recht hat und ohne ISAF funktionierende Lösungen kein Problem sind, dann ist ja ab 2014 alles in bester Ordnung.

    Ich persönlich bin da, auch nach meiner Zeit in Afghanistan, anderer Meinung als der Interviewte und Holzer. Ich bin der festen Überzeugung dass wir zügig abziehen müssen. Weil meiner Überzeugung das Engagement ob heute oder in 10 Jahren beendet zu einem identisch negativen Ergebnis führen wird. Das ist nicht die Schuld der ISAF, sondern von Politikern, die Armeen ohne Aussicht auf Erfolg los schicken. Militärisch ist die Situation nicht zu lösen - egal wie lange Landser dort ihre Knochen hin halten.

  • H
    Holzer

    Herr Steiner erzielt absolut keine Glaubwürdigkeit mit seinem Wunschdenken. So wie er redet, ist Afghanistan eben doch Vietnam - Opfer einer ideologisch motivierten militärischen Aggression.

     

    Eine fortschrittliche Bundestagsabgeordnete hat kürzlich im Plenum von der persönlich übermittelten Erfahrung in Afghanistan berichtet, dass z.B. infrastrukturelle Entwicklungsangebote überall dort funktionieren und nicht vom 'Feind' zerstört werden, wo die Armee, wo die ISAF nicht ist. Das war sehr bezeichnend und gibt eine Richtung vor.

    Je früher die Truppen abziehen und je eher man diese bislang militärisch gebundenen finanziellen Ressourcen in ziviler Form dort investiert, desto eher kommt das Land auf die Beine.

     

    Komisch, dass die von der Regierung als ahnungslos Angesehenen oft einen viel direkteren Zugang zu funktionierenden Lösungen haben. War in Vietnam allerdings auch so...