Deutscher Blick auf den Iran: Die ewige Soraya-Exotik
Das deutsche Iran-Bild ist eine von Klischees geprägte Projektionsfläche. Der kurze Rock wird mit westlicher Moderne gleichgesetzt.
V ielleicht hat es etwas mit Soraya zu tun? Was wurde in der Bundesrepublik der 1950er Jahre nicht alles geschrieben über die persische Märchenkaiserin“ aus „1.001 Nacht“. Sogar ihr Name ist der Klatschpresse bis heute unter dem Spitznamen „Soraya-Presse“ anhänglich geworden. Am 28. Februar 1955 besuchten ebenjene Soraya Esfandiari-Bakhtiari, Deutsch-Iranerin und von 1951 bis 1958 Ehefrau Schah Mohammed Reza Pahlavis, die westdeutsche Hauptstadt Bonn. Im General-Anzeiger hieß es dazu: „Die Bundeshauptstadt liegt dem Schah und vor allem seiner strahlenden Kaiserin zu Füßen, 15.000 Bonner drängen sich auf dem Bahnhofsvorplatz und skandieren: „Soraya! Soraya!“
Das war zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, im gesellschaftlichen Mief der Bundesrepublik, in dem man sich an vermeintlichen, träumerischen Märchengeschichten labte. Aber wie steht es heute um das Iran-Bild in Deutschland? Ein Blick in die Bestsellerlisten und die politische Berichterstattung zeigt: Nicht gut. Es ist eine Mischung aus Kitsch, Gönnerhaftigkeit und Undifferenziertheit, die sich hier häufig widerspiegelt.
Insbesondere touristische Erfahrungsberichte, für exotisierende Tendenzen besonders anfällig, werden auch im Jahr 2018 als Blicke hinter „verschlossene Türen“, „den Schleier“ oder „geschlossene Vorhänge“ verkauft. Somit werden Muster wiederholt, die noch viel weiter zurückreichen, als in die sehnsuchts- und verdrängungsgetriebene Klatschpresse der Nachkriegszeit.
Was dabei dabei auffällt: Genau vierzig Jahre nach dem Erscheinen des Meilensteines Orientalism von Literaturwissenschaftler Edward Said, in dem er die Beziehungen zwischen Diskurs- und imperialer Macht in der französischen und britischen Literatur zum sogenannten Orient analysierte, sind es insbesondere vermeintlich aufgeklärte und globetrottende Menschen, die Muster aus erotisierendem Affekt und dem Reiz des Verbotenen reproduzieren. So werden dieser Tage im schlimmsten Eroberungsgestus à la Marco Polo vermeintlich „letzte weiße Flecken“ erschlossen.
Kein Delfinbecken für Traumatisierte
Iran, schwärmt der ehemalige Spiegel-Online-Redakteur und heutige Bestseller-Autor Stephan Orth, sei ein Land, „dessen Besuch verschreibungspflichtig sein sollte für Menschen, die an überkommenen Vorurteilen festhalten. Ein Land, das fesselt und aufwühlt, verzaubert und wütend macht. Ein Land, in dem man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt“.
Aha. Iran und seine Gesellschaft als Delfinbecken für traumatisierte Deutsche? So löblich auch das Anliegen sein mag, künstliche kulturelle Barrieren einzureißen: Iraner*innen haben es nicht nötig, von gütigen, blonden Deutschen, die schon aufgrund ihres Aussehens eine besondere Behandlung im Land erfahren, als „offen“ und „westlicher als gedacht“ gelobt zu werden. Denn, nur ein Beispiel, meine in Deutschland aufgewachsenen afghanischen Freund*innen, die Iran bereist haben, können hier ganz anderes berichten: Natürlich grassiert auch in Iran der Rassismus, sei es gegen Afghan*innen oder Araber*innen. Und auch ich, der aufgrund seiner halb-iranischen Wurzeln vor Ort häufig zuerst als Iraner gelesen und somit nicht so zuvorkommend behandelt wird, möchte sagen: Überprüfe deine Privilegien!
Ähnliches tut sich im Bereich der politischen Berichterstattung auf und zeigte sich besonders an den zahlreichen Beiträgen zur jüngste Protestwelle. Zwar gibt es inzwischen einige iranischstämmige Analyst*innen in der deutschen Medienwelt, die lebensnähere Perspektiven einbringen, doch auch sie können selbstverständlich nicht die Aufmerksamkeitsökonomie hinter den Nachrichten verändern. Geht es um Iran, so ist es stets hop oder top, freiheitliche Revolution oder drakonisches Mullah-Regime. Was in beiden Fällen vor allem erstaunt, ist der Brustton der Überzeugung, mit dem einige sogenannte Experten (männlich) über die Lage in Iran und die Ursache der Proteste sprechen.
In den USA oder Deutschland, wo Forschungsinstitute tagein, tagaus die Bevölkerung vermessen, liegen progressive Kräfte völlig über Kreuz in der Feststellung darüber, was nun den Aufstieg Trumps oder der AfD begünstigt hat. Doch bei Iran, das bei gleicher Bevölkerungszahl viermal so groß wie Deutschland ist und über das nur wenige verlässliche Studien vorliegen, ist die Sache plötzlich ganz eindeutig. Je nach eigener Gesinnung geht es immer nur um persönliche Freiheiten oder wirtschaftliche Belange.
Hang zur Zuspitzung
In Race and the Education of Desire zeigte die Anthropologin Laura Ann Stoler 1995 die Verbundenheit von sexualisiertem und rassistischem Diskurs in den imperialen Zentren des 19. Jahrhunderts mit der Sicht und Praxis in den kolonialisierten Ländern. Auch deutsche Betrachter*innen sollten sich vielleicht zuerst fragen, warum sie bestimmte Interessen an Iran hegen, den profanen Alltag der Menschen aber gerne ausblenden?
Der Hang zur Zuspitzung wird an den immer gleichen Geschichten aus Teheran deutlich, die bei Reportagen erzählt werden: Junge Menschen, die in ihren Autos an den Hängen der Berge ihre Nummern austauschen; oder Cafés als geschützte Räume für allerlei. Widersprüche, knisternde Erotik und natürlich auch der insbesondere beim Berliner Publikum über alle Maßen beliebte „Untergrund“, in dem Raves, Komasaufen und – ganz wichtig! – kurze Röcke gang und gäbe sind. Als ob das etwas Positives sei, etwas, was die Deutschen den Iraner*innen näher bringt.
In all diesen Fällen sind vor allem zwei Dinge dringend angebracht: mehr Differenziertheit und mehr Demut. Ja, die jungen Iraner*innen haben „ganz normale“ Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung, materieller Sicherheit und persönlichen Freiheiten. Ganz ohne Soraya-Kitsch, exotischen „Schleier“ oder die Gunst von Tourist*innen. Diese Tatsachen sollte nicht immer wieder bis ins Unendliche betont werden müssen, sondern selbstverständlich sein. Übrigens nicht nur im Falle Irans, sondern überall auf der Welt.
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