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Deutsche konsumieren auf Pump

■ Wegen der stürmischen Nachfrage nach Krediten will die Bundesbank die Leitzinsen hochhalten

Frankfurt (ap/dpa/taz) — Die angeblich soliden Deutschen leben immer mehr auf Pump. Trotz hoher Zinsen nehmen Firmen und KonsumentInnen immer mehr Kredite auf. Deshalb hat die Bundesbank gestern in ihrem jüngsten Monatsbericht angekündigt, daß sie die Leitzinsen in nächster Zeit nicht senken wird: Geld bleibt also teuer. Im vierten Quartal 1991 habe die Kreditgewährung der Banken „auf breiter Front“ zugenommen, schreiben die Bundesbanker. Mit der Konsequenz, daß die Geldmenge immer schneller angeschwollen ist: Im letzten Quartal des Jahres 1991 expandierte sie mit einer Jahresrate von zehn Prozent.

Die Kreditaufnahme von Unternehmen und Verbrauchern sei im vierten Quartal saisonbereinigt mit einer Jahresrate von 14 Prozent nach zehn Prozent im dritten Quartal gestiegen. Eine Beruhigung der Kreditvergabe zeichne sich nicht ab: Angesichts der Zusagen für längerfristige Kredite „dürfte die Kreditgewährung in den kommenden Monaten weiterhin kräftig bleien“, schätzen die Bundesbank-Experten.

Bei der Festlegung der Leitzinsen kommt der Zunahme der Geldmenge „eine besondere Bedeutung unter den verschiedenen Indikatoren“ zu, wie die Frankfurter Währungshüter erläutern. Wenn die umlaufende Geldmenge im Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistung zu stark wächst, verliert die Währung an Wert. Derzeit sei das Wachstum der Geldmenge „erheblich stärker, als auf längere Sicht mit dem Postulat der Geldwertstabilität vereinbar erscheint“, befindet die Bundesbank. Die Inflationserwartungen seien „die Schlüsselgröße für die weitere Zinsentwicklung“. In einem Interview der jüngsten Ausgabe des Nachrichtenmagazins 'Spiegel‘ sagte Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger dazu, im Augenblick sehe er keine Veranlassung für eine weitere Zinsanhebung, aber „auch keine Möglichkeit, daß wir runtergehen“. 1992 will die Bundesbank das Geldmengenwachstum zwischen 3,5 und 5,5 Prozent halten, nachdem sie ihr Wachstumsziel für 1991 nach eigener Darstellung nur ganz knapp einhalten konnte.

Als Hauptursache für die stürmische Kreditnachfrage nennt die Bundesbank den riesigen Investitionsbedarf in Ostdeutschland, den die Unternehmen angesichts rückläufiger Gewinne immer stärker mit geliehenem Geld finanzieren. „Besonders rasch sind die Kredite an das Baugewerbe, den Handel, an den Bereich Verkehr und Nachrichtenübermittlung und an den Dienstleistungssektor — dem auch die Treuhand zugeordnet ist — gestiegen“, schreiben die Währungshüter. Das alles sind genau die Wirtschaftszweige, die derzeit in Ostdeutschland für Wachstum sorgen.

Aber auch die VerbraucherInnen leben stärker auf Pump: Im letzten Quartal 1991 nahmen sie 17 Prozent mehr Konsumentenkredite auf als im Vorjahr, obwohl die Banken ihnen für Ratenkredite im Januar durchschnittlich saftige 15 Prozent Zinsen berechneten. „Offensichtlich haben die privaten Haushalte ihre Verbrauchsgewohnheiten zum Teil nicht der verhalteneren Entwicklung des verfügbaren Einkommens angepaßt“, stellt die Bundesbank fest. Auf die höhere Besteuerung zur Finanzierung der deutschen Einheit reagierten die Bürger nicht mit Gürtel engerschnallen, sondern mit verstärkter Kreditaufnahme. Zugenommen hat auch die Kreditvergabe im Wohnungsbau, nämlich mit einer Jahresrate von 7,5 Prozent im vierten Quartal.

Von hohen Zinsen lassen sich besonders die UnternehmerInnen umso weniger abschrecken, als die Subventionierung von Kreditzinsen — zum Beispiel im Rahmen staatlich geförderter Sonderprogramme — „in der letzten Zeit stark an Bedeutung gewonnen“ hat, wie die Volkswirte schreiben. Dadurch würden die hohen Marktzinsen „weitgehend neutralisiert“. Der Bundesbank wird damit allerdings die Steuerung des Geldmengenwachstums erschwert: Durch Zinssubventionen werde „die Wirkung der Geldpolitik auf die Kreditnachfrage beeinträchtigt“.

Immerhin: Für eine tiefe Rezession sieht die Bundesbank derzeit keine Alarmzeichen. Vielmehr mache sogar der Erholungsprozeß in Ostdeutschland „offensichtlich Fortschritte“. Obwohl auch das westdeutsche Bruttosozialprodukt im Schlußquartal 1991 schwächer als in den vorangegangenen drei Monaten ausfiel, sind für die Bundesbank- Volkswirte „Anzeichen für eine sich beschleunigte Abwärtstendenz nicht zu erkennen“. Die Wirtschaft in den alten Bundesländern dürfte — nach einer Phase der Überhitzung — „nun eine gewisse Konsolidierungsperiode durchlaufen“.

Wie aus dem Februarbericht der Bundesbank hervorgeht, fiel auch die westdeutsche Wirtschaftsleistung im vierten Quartal 1991 um 0,5 Prozent geringer aus als in den drei Monaten zuvor. Damit wurde im zweiten, dritten und vierten Quartal jeweils um 0,5 Prozent das Bruttosozialprodukt der vorangegangenen Periode verfehlt. In der angloamerikanischen Konjunkturanalyse würde diese Entwicklung allerdings schon als Rezession bezeichnet. Die Bundesbank spricht dagegen für Westdeutschland nur von einem „etwas getrübten Konjunkturbild“.

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