Ungedeckeltes Shopping­vergnügen

Mit der Aufnahme in den DAX steigt der Renditedruck der Deutsche Wohnen. Angekaufte Altbauten könnten in Eigentum umgewandelt werden

Deutsche Wohnen macht Augen Foto: imago

Von Gareth Joswig

Der Renditedruck auf die Deutsche Wohnen steigt, sagt Rouzbeh Taheri vom Enteignungs-Volksbegehren. „Jetzt, wo der Konzern in den DAX gerutscht ist, schauen viel mehr Investoren und Analysten ganz genau auf die Renditechancen der Aktie – aber auf das Enteignungsverfahren hat das keine Auswirkungen“, so der Sprecher von Deutsche Wohnen und Co. enteignen, das sich für die Vergesellschaftung von Wohnraum einsetzt. Auch der Deutsche Mieterbund äußerte Befürchtungen: Das Unternehmen mit 116.000 Wohnungen in Berlin werde stärker in den Fokus internationaler Investoren rücken. Rainer Wild vom Berliner Mieterverein sagt: „Der Erfolg der Deutschen Wohnen ist das Leid der Mieter.“

Mit dem Aufstieg in den DAX gehört die Deutsche Wohnen als zweitgrößter Vermieter Deutschlands zu den Top 30 der börsennotierten Unternehmen – als Ersatz für die Lufthansa. Größter Einzelaktionär der Deutschen Wohnen ist Blackrock, wiederum der weltweit größte Vermögensverwalter.

Lars Urbansky, Deutsche-Wohnen-Vor­stands­mitglied, musste am vergangenen Freitag auf der Jahreshauptversammlung bekannt geben, dass ab November wegen des Mietendeckels rund 30 Prozent der Berliner Mieten gesenkt werden müssten. In Mietverträgen vereinbart die Deutsche Wohnen deswegen neuerdings Schattenmieten, die nach Ablauf des fünfjährigen Mietenstopps greifen sollen. Wenn bereits zuvor die Verfassungsrichter:innen den Mietendeckel lüften, müssten Mieter:innen sofort die entstandene Differenz nachzahlen. Dennoch rechnet das Unternehmen für 2020 zunächst mit Mietausfällen von 9 Millionen Euro, fürs nächste Jahr gar mit 30 Millionen Euro. Eingenommen hat die Deutsche Wohnen 2019 rund 837 Millionen Euro.

Die Strategie gegen den Mietendeckel könnte paradoxerweise Bestandserweiterung sein. Denn tatsächlich ist die Deutsche Wohnen trotz möglicher Einbußen weiter auf Shoppingtour: Gerade ist bekannt geworden, dass der Konzern 21 Häuser mit 400 Wohnungen für 90 Millionen Euro in Berlin kaufen will, vorwiegend Altbaubestände. Elf davon sollen in Kreuzberg in sozialen Erhaltungsgebieten liegen. In diesen unter Milieuschutz stehenden Gebieten sollen Maßnahmen dafür sorgen, dass sich die soziale Mischung durch Mietsteigerungen nicht weiter zuungunsten ärmerer Menschen verschiebt. Auch hat der Bezirk hier ein Vorkaufsrecht, wenn Investoren nicht bereit sind, sich in Abwendungsvereinbarungen auf soziale Kriterien zu verpflichten.

Günstiger Mieten der landeseigenen Wohnungsunternehmen liegen nach wie vor deutlich unter Marktniveau. Mieter mussten dort 2019 im Schnitt 6,22 Euro pro Quadratmeter bezahlen, gut 6 Prozent weniger als die laut Mietspiegel vergleichbare Miete von 6,63 Euro. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) stellte die neuen Zahlen am Mittwoch vor.

Neubau Bei Neuverträgen betrug die Miete im Schnitt 7,43 Euro pro Quadratmeter, zwei Drittel der Markt-Angebotsmiete von 10,45 Euro. Auch die Zahl der fertigen Neubauwohnungen sei 2019 um 36 Prozent auf rund 4.450 gestiegen. 325.400 Berliner Wohnungen sind in kommunalem Besitz. (dpa, taz)

In dem geplanten Kauf sieht Taheri eine Strategieänderung: „Ende letzten Jahres sagte die Deutsche Wohnen noch, dass sie sich von Teilen des Berliner Wohnungsbestandes trennen wollen. Nun scheinen sie jedoch vorrangig Altbauten aufkaufen zu wollen und gleichzeitig den Bestand aus den 60er und 70er Jahren abzustoßen.“ Warum? „Altbau lässt sich leichter aufteilen und in Eigentumswohnungen umwandeln. Das ist für bestimmte Konzerne eine Exitstrategie nach dem Mietendeckel. Das müssen wir ganz genau beobachten und verhindern“, so Taheri.

Verkauft hätte die Deutsche Wohnen demnach bisher vor allem sozialen Wohnungsbau in schlechtem Zustand: Asbestbelastet, hoher Sanierungsbedarf, wenig Renditechancen wegen lang laufender Sozialbindungen – das etwa trifft laut Taheri etwa auf zahlreiche Wohnungen in Spandau zu, die die Deutsche Wohnen im Dezember an die landeseigene Degewo verkauft hat.

Auch Mietaktivist:innen hatten befürchtet, dass Wohnungsunternehmen nun vermehrt auf Umwandlung in Eigentum setzen. Für viele ist das der worst case, weil ein Haus für eine mögliche Rekommunalisierung vom Markt ist, sobald es aufgeteilt ist. Erste Anzeichen für diese Strategie lassen sich bereits bei Akelius beobachten, das bekannt dafür ist, Altbauwohnungsbestände in angesagten Kiezen aufzuwerten.

Die Enteignungsinitiative hilft unterdessen bei der Vernetzung der betroffenen Mieter:innen. Am Samstag um 13 Uhr soll am Mariannenplatz eine Kundgebung mit Treffen der bedrohten Mieter:innen stattfinden. Auch der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) informiert die betroffenen Haushalte bereits per Schrei­ben über die Möglichkeit des Vorkaufsrechts.

Altbaubestände sind für private Investoren leichter in Eigentumswohnungen umzuwandeln Foto: imago

Gleichzeitig dürfte es für Bezirk und Land angesichts der Coronakrise schwerer werden, das den Landeshaushalt weiter belastende Vorkaufsrecht tatsächlich zu ziehen. Reihenweise waren in der Vergangenheit Häuser privaten Investoren weggeschnappt worden. Insbesondere von Verwaltungs­mit­arbei­ter:innen und der SPD hatte es aber immer wieder Gegenwind bei Rekommunalisierungen gegeben. Eine offizielle Änderung der Vorkaufsstrategie gibt es indes nicht. Schmidt sagt dazu: „Solange nichts Gegenteiliges kommuniziert wird, gehen wir davon aus, dass Zuschüsse fürs Vorkaufsrecht noch da sind.“ Bezüglich der Abwendungsvereinbarung sei man in Kontakt mit Deutsche Wohnen. Man prüfe in alle Richtungen – auch eine Übernahme durch eine mietereigene Genossenschaft komme infrage sowie der Vorkauf Dritter oder kommunaler Wohnungsunternehmen.

Auch Ephraim Gothe, SPD-­Bezirksstadtrat aus Mitte, be­stätigte, dass er sich mit dem Senat darüber im Austausch befinde. In Mitte sind ein Haus in der Hochstädter Straße und eines in der Guineastraße betroffen.

Die Deutsche Wohnen bestreitet, dass sich die Unternehmensstrategie durch Mietendeckel und DAX-Listung ändert. Umwandlung in Eigentum spiele keine Rolle. Abwendungsvereinbarungen stehe man offen gegenüber – die neuen Wohnungen wolle man langfristig bewirtschaften.