Deutsche Sektensiedlung Colonia Dignidad: Vom Sektensitz zum Gedenkort?
Deutschland und Chile könnten am Montag die Weichen für einen Gedenkort in der ehemaligen Colonia Dignidad stellen. Sie diente auch als Folterzentrum.
Ein Konzept dafür liegt bereits vor: Entwickelt von einem deutsch-chilenischen Team im Auftrag beider Regierungen. Diesem zufolge sollen die Misshandlungen von Bewohner*innen der Sektensiedlung und von Chilen*innen aus der Umgebung sowie die enge Kooperation mit dem chilenischen Geheimdienst während der Diktatur Pinochets an verschiedenen Orten auf dem Gelände aufgezeigt werden. An einem Massengrab soll an verschwundene, mutmaßlich dort ermordete Gefangene erinnert werden.
Bei Bundestagsabgeordneten trifft dieses Konzept fraktionsübergreifend auf Zustimmung. Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Michael Brand, erklärt, er erwarte, „dass noch in diesem Jahr die ersten Pflöcke eingeschlagen werden“. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, fordert eine schnelle Grundsatzentscheidung auf höchster Ebene zwischen Deutschland und Chile.
Dazu könnte es am Montag kommen, wenn sich die Gemischte Kommission aus Vertreter*innen der deutschen und der chilenischen Regierung trifft. „Damit Chiles Justizminister Hernán Larraín, der einst selbst ein entschiedener Unterstützer der Colonia Dignidad war, den Weg für einen Gedenkort freigibt, müsste das Auswärtige Amt größeren Druck auf Chile aufbauen“, sagt der Politologe Jan Stehle, der zur Colonia Dignidad forscht.
Verschachteltes Firmenkonstrukt
Der Deutsche Bundestag hatte 2017 auch gefordert, die Besitzverhältnisse der Villa Baviera zu klären, auch mit dem Ziel, dass Mittel aus dem Vermögen konkret den Opfern zugutekommen sollten. Bisher ist wenig geschehen, das könnte sich nun ändern.
Ende der 1980er Jahre hatte die Sektenführung um Paul Schäfer Ländereien und Betriebe der Colonia Dignidad in eine Firmenholding überführt, zu der inzwischen Tourismus-, Landwirtschafts- und mehrere Immobilienunternehmen zählen. In dem verschachtelten Konstrukt geschlossener Aktiengesellschaften erhielten viele frühere Siedlungsbewohner*innen formell zwar einen Anteil in Form von Aktien. Als „Kleinaktionär*innen“ partizipieren sie aber nicht an dem Vermögen.
„Nur einen Scheck von einem Euro“ habe sie vor etwa fünf Jahren einmal erhalten, berichtet die 52-jährige Doris Gert, die heute außerhalb der Villa Baviera lebt. Sie hat sich mit Leidensgenoss*innen, die nach Jahrzehnten unbezahlter Zwangsarbeit keine Rentenabsicherung haben, in dem Opferverband ADEC zusammengeschlossen. ADEC kritisiert die ungerechte Verteilung von Macht und Vermögen in der Villa Baviera, es fehle an Mitbestimmungsrechten und Einblick in die Firmenunterlagen.
Bundesregierung hält Studie unter Verschluss
Korte (Linke) fordert, zur Unterstützung der Opfer einen „versierten Wirtschaftsanwalt“ zu beauftragen. Der Politologe Stehle kritisiert: „Die Leitungsgremien der Unternehmen verweigern seit Jahren rechtskräftig fällige Entschädigungszahlungen an Chilenen, die in den 1990er Jahren als Kinder von Sektenchef Schäfer vergewaltigt wurden, und retraumatisieren diese damit“.
In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärt die Bundesregierung nun, sie prüfe die „Einsichtnahme in das chilenische Handelsregister“ für Firmen der Villa Baviera. Zwar hatte die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) schon 2018 für 112.000 Euro eine „Machbarkeitsstudie zur Wirtschaftsprüfung“ erstellt. Diese hält die Bundesregierung aber unter Verschluss, da der Führung der Villa Baviera Verschwiegenheit zugesichert wurde.
Auch Brand (CDU) kritisiert, die Führung der Villa Baviera arbeite nicht transparent. „Der deutsche Staat muss alle Register ziehen, um dort mehr Transparenz reinzubekommen“, sagt er, warnt aber, das sei eine „ganz schwierige Nummer, weil es privatwirtschaftliche Fragen betrifft“.
Brand betont, die Bundesregierung müsse weiterhin Hilfszahlungen an Opfer der Sekte leisten und einen Fonds „Pflege und Alter“ ausgestalten. Dafür und um die Errichtung einer Gedenkstätte umzusetzen, werde eine fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten „sehr zäh auch nach der nächsten Bundestagswahl der Bundesregierung im Genick sitzen“.
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