Deutsche Olympiabewerbungen: Komiker mit fünf Ringen
Die deutschen Olympia-Bewerber tischen wie zuletzt in NRW immer die gleiche vage Idee auf. Ihre Überzeugungskraft ist nicht gewachsen.
O lympische Spiele scheinen eine deutsche Obsession zu sein. Kaum hatte sich das Internationale Olympische Komitee am Mittwochabend offiziell für Brisbane als bevorzugten Kandidaten für die Olympischen Spiele 2032 entschieden, kündigte die NRW-Landesregierung tags darauf an, nicht locker zu lassen.
Das wäre ja auch gelacht, wenn man sich die eigenen Visionen einfach so von der Realität nehmen lassen würde. Dass die Initiative Rhein-Ruhr-City nun ausgerechnet diesen Freitag ausgewählt hat, um unter Mitwirkung des voraussichtlichen Kanzlerkandidaten und NRW-Regierungschef Armin Laschet über die Fortschritte der eigenen Bewerbung zu berichten, ist vielleicht unglücklich. Zur Not blamiert man sich aber eben auf höchstem Niveau.
Und während sie in Nordrhein-Westfalen weiter an ihren Modellen feilen, arbeiten sich in Berlin wahrscheinlich bald die nächsten Phantasten an ihrer Olympia-Vision ab. Hundert Jahre nach den Propaganda-Spielen der Nazis von 1936 wäre doch der optimale Zeitpunkt, um an selber Stelle die Spiele der Demokraten zu feiern – demütig und in aller Bescheidenheit natürlich. Die Beklemmungen, die andere bei dem Gedanken beschleichen, werden sich schon noch lösen.
Es ist erstaunlich, wie verlässlich und unermüdlich deutsche Bewerber in der Vergangenheit einer abstrakten Idee hinterhergelaufen sind, ohne Gespür für das dafür nötige Personal, die Stimmungslage im IOC oder in der eigenen Bevölkerung zu haben. Die Bildstrecken des Scheiterns, die man nach der jüngsten Abfuhr für die Initiative Rhein-Ruhr-City im Internet durchklicken kann, sind lang: Berchtesgaden 1992, Berlin 2000, Leipzig 2012, München 2018, München 2022, Hamburg 2024 und nun NRW 2032.
Großer Widerstandsgeist
Bei der Berliner Bewerbung waren die Nachforschungen ob der Stimmungslage beim IOC doch zu speziell und kompromittierend dazu, weil öffentlich wurde, dass man ein Dossier für die sexuellen Vorlieben der Funktionäre angelegt hatte. Nachteilig kam die Selbstbedienungsmentalität der Organisatoren vor Ort hinzu wie der große Widerstandsgeist der Nolympiabewegung. Leipzig ließ sich vom IOC für sein „innovatives Beherberungskonzept“ loben und überhörte den darin enthaltenen Spott, dass eine so kleine Stadt dem Gigantismus der Olympischen Spiele trotzen wollte.
Um das Kräftefeld zwischen Bewerber, IOC und eigener Bevölkerung war es bei allen deutschen Bewerbungen nie gut bestellt. Das liegt auch daran, dass die Fehler der gescheiterten Vorgänger nie systematisch aufgearbeitet wurden. Selbst fundamentale Kapitulationserklärungen konnten niemanden wachrütteln. Nachdem München auch im zweiten Versuch seinen Traum von Winterspielen nicht verwirklichen konnte, weil die Bevölkerung sich dagegen in einer Abstimmung sperrte, prophezeiten die Organisatoren vor Ort, dies sei zugleich eine Absage an sportliche Großprojekte in Deutschland auf Jahre hinaus. Die Hamburger ließen es sich nicht nehmen, kurz darauf einen erneuten Anlauf zu nehmen.
Die vage Idee, mit einem völkerverbindenden Sportfest wirtschaftliche Impulse von ökologisch nachhaltigem Charakter zu setzen, wird immer wieder aufs Neue aufgetischt, ohne dass die Überzeugungskraft mit der Zeit gewachsen wäre. Im November 2019 trommelte ein Bankangestellter aus Schmalkhalden dafür, die Olympischen Winterspiele 2030 an seinen Ort nach Thüringen im Verbund mit Sachsen und Bayern zu holen, um einen Impuls für Ostdeutschland zu setzen. Umweltfreundlich und nachhaltig sollten sie natürlich auch sein, diese Spiele. Viele stellten sich damals die Frage, welche Komiker sich denn da ans Werk gemacht hätten. Eine Frage, die spätestens seit Mitte dieser Woche auch bei der Initiative Rhein-Ruhr-City ihre Berechtigung hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin