Deutsche Modefotografie der 1990er: Das Medium ist keine Message
Angelica Blechschmidt war Chefredakteurin der deutschen Vogue und dokumentierte die Modewelt der 90er. Ihre Fotos sind zur Berlin Fashion Week zu sehen.
Du stehst vor einer dunkelbraunen Tür. Auf ihren Rahmen ist mit weißer Kreide ein Frauenname geschrieben. Kaum hast Du das Zimmer betreten, breitet sich eine große Ruhe in Dir aus. Umgeben von gedeckten Farben, edlen Hölzern und Regalwänden beschleicht dich ein Gefühl, dass hier alles stimmt. Ein Raum mit viel Platz, keine überflüssigen Gegenstände, zeitlos. An der linken Wand, geometrisch angeordnet, drei mal drei gerahmte Farbfotografien.
Im Bett liegend siehst Du statt eines Fernsehgeräts (das hinter dem Vorhang versteckt ist) nur diese neun bunten Bilder. Sie zeigen lebhafte Szenen, Gesichter, einige kennst Du: das Model Kristen McMenamy, die Modeikone Isabella Blow, Gisele Bündchen, Patrick Demarchelier mit dem Model Devon Aoki.
In der stillen Welt des Zimmers eröffnet sich der Korridor in eine andere Welt – spektakulär, bunt, bewegt. In der unteren Reihe ist in der Mitte das Foto eines Frauenfußes mit Händen, die Zehennägel lackieren.
Dieses Zimmer liegt im Berliner Hotel „Chateau Royal“. Es ist von der Innenarchitektin Irina Kromayer gestaltet. Die auffälligen Fotos hat Unternehmerin und Keramikkünstlerin Kirsten Landwehr beigesteuert, die vor etwa zehn Jahren eine bemerkenswerte Erbschaft machte: mehr als hundert Kisten mit 180.000 Einzelfotos und Negativen ihrer Freundin, der Chefredakteurin der Deutschen Vogue von 1989 bis 2003, Angelica Blechschmidt. Ihr Name ist es, der am Türrahmen geschrieben steht.
Die Olympus war immer dabei
Blechschmidt war nicht nur Redakteurin, sondern hat auf Modenschauen, Events und Partys, vor und nach der Show, neben und auf dem Laufsteg mit einer kleinen Olympus-Kamera fotografiert – point and shoot. Ihr fotografisches Werk ist eine aufregende Reise durch die Modewelt der 1990er Jahre.
Begleitend zur großen Modefotografie, der ihre Zeitschrift eine Bühne bot, machte sie diese kleinen Fotos, eher für sich selbst; um sich, „mit den Augen denkend“ (Jil Sander), eine eigene Meinung zu bilden, Bilder aus dem Off. Nur einige erschienen in ihrer Vogue-Kolumne „Flash“ und mitunter hat sie mit den Fotos auch dem Betrieb ein Schnippchen geschlagen.
Die deutsche Ausgabe von Vogue war nämlich Anfang der Neunziger das vernachlässigte Kind unter den international berühmteren Vogues aus Italien, Frankreich und den USA. Die Firmen schickten ihre offiziellen Fotos von den Shows erst Wochen später nach Deutschland. Aber da hatte Blechschmidt eben schon ihre eigenen Fotos von den großen Shows in London, Paris, New York … Erst mit Angelica Blechschmidt tritt die deutsche Vogue aus ihrem Schattendasein, verdoppelt ihre Auflage.
Die Ära der Supermodels und Superdesigner
Ein Auszug des riesigen Schatzes (er wird derzeit auch an der TU Dortmund digitalisiert und erforscht) ist auch auf einem sagenhaften Instagram Account zu sehen: archive_angelica_blechschmidt. Seit 2021 wird dort jeweils alle drei, vier Tage ein neues Foto hochgeladen. Blechschmidts Fotografien sind getragen von einer unstillbaren Neugier auf Personen und Persönlichkeiten, auf Menschen und Stars, Menschen als Stars und Stars als Menschen. Wirkliche Stars! Die gab es in 1990er Jahren, der Ära der Supermodels und Superdesigner, noch.
Wer sind diese berühmten Designer*innen, Fotograf*innen, Models, die noch heute die Mode prägen? Blechschmidts Fotos geben keine Antwort, aber sie hat sie alle über die Jahre hinweg als Fotografin begleitet. Karl Lagerfeld posiert mit großer Handkamera, hinter ihm Carla Fendi, grinsend übers ganze Gesicht.
Die italienische Sängerin Milva, knallrote Lippen und Lutscher, mit offenem Mund und geschlossenen Augen, offensichtlich Special Guest einer Show. Vivienne Westwood und Azzedine Alaïa liegen sich in den Armen wie zwei Kumpels aus einer Berliner Eckkneipe (Blechschmidt wohnte ab 2003 in Potsdam).
Alle Posen, alle Verkleidungen
Blechschmidt bezeichnet sich selbst einmal als typische Paparazza. Als solche treibt sie durch eine Welt, in der alle nur eins wollen: sich zeigen, zeigen, zeigen, nichts von Nachhaltigkeit und Verantwortung, keine Message, kein Programm, nur sich zeigen, in allen Posen, allen Verkleidungen, mit allen andern.
Blechschmidt nimmt diese Besessenheit voll und ganz an, provoziert Posen und Grimassen – Mode als ein einziges, nicht endendes Happening, auf dem alle strahlen, mit und ohne Champagner, den sie so sehr liebte wie ihr Kleines Schwarzes und ihre großen Klunker. Als müsste sie sich selbst glaubhaft machen, dass es das wirklich gibt, fotografiert sie aus allen Blickwinkeln, oft mehrfach, bevor sich diese Welt dann in ihrer Zeitschrift auf Hochglanz beruhigt.
Nur manchmal gibt es Momente, in denen sich jemand nicht zeigt: Ein Model sitzt auf dem Tisch beim Sticken, Models im Private Dress, als Mütter mit Kind, ein Urlaubsfoto von Ralph Lauren und Frau, von Blechschmidt erhascht. Ihren Stars aber blieb sie treu. So gibt es kaum Fotos von Arbeitsprozessen, Herstellungsorten, Ateliers, von Schnitten, Materialien oder den Kleidern selbst. Jedenfalls wurden sie bislang nicht in den 101 Kisten gefunden.
Zu Beginn der Berlin Fashion Week ist Angelica Blechschmidts fotografisches Werk am Freitag, 31. Januar, Thema eines Gesprächs von Journalistin Alexandra Bondi de Antoni und Michael Philouze, Redakteur der US-Vogue, im Hotel „Chateau Royal“ (ab 14 Uhr) samt einer kleinen Präsentation von Fotografien.
Könnte man besser über Sinn und Unsinn von Mode nachdenken? Das wundervolle Zimmer von Angelica Blechschmidt darf besichtigt werden.
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