Deutsche Handballerin über Olympia: "In Peking darfst du nichts machen"
Grit Jurack, die beste Handballerin der Welt, beklagt den olympischen Maulkorb, verzichtet aber auf Protest und hofft auf eine Medaille.
taz: Frau Jurack, die chinesische Regierung scheint pünktlich zu den Olympischen Spielen immer restriktiver zu werden. Haben Sie Angst, sich politisch zu äußern?
Die Sportlerin: Die Linkshänderin gilt als weltbeste halbrechte Rückraumspielerin. 1977 in Leipzig geboren, gewann sie mit dem dortigen HC zweimal die Meisterschaft. Im Februar wurde sie zum vierten Mal zur Handballerin des Jahres in Deutschland gewählt.
Die Dänin: Nachdem Jurack bereits von 2001 bis 2003 beim dänischen Klub Ikast-Bording spielte, wechselte sie nach einem Zwischenspiel in Leipzig 2004 endgültig nach Dänemark. Diesmal zu Viborg HK, wo sie 2006 als erste Deutsche die Champions League gewann.
Die Lehrerin: Nach ihrem Abitur studierte die deutsche Rekordtorschützin an der Universität Leipzig bis zu ihrem Abschluss als Diplomsportlehrerin mit Schwerpunkt Management. Für ihre Diplomarbeit erstellte sie eine Imageanalyse ihres Klubs Viborg HK.
Die Olympionikin: Bei ihren zweiten Olympischen Spielen nach Atlanta 1996 gehört Kapitänin Jurack mit ihrer Frauschaft zum Favoritenkreis. In der schweren Gruppe B treffen sie auf Brasilien, Südkorea, Ungarn, Schweden und Russland.
Grit Jurack: Du darfst nichts machen.
Darüber herrscht also Klarheit im Team?
Wir haben Instruktionen und viel Material bekommen. Außerdem sprechen wir im Mannschaftskreis häufig darüber.
Sie wollten aber eigentlich etwas machen und haben darüber nachgedacht, ihre politische Meinung kundzutun.
Wie andere Sportler auch habe ich darüber nachgedacht, ein Armband zu tragen oder der Eröffnungsfeier fernzubleiben.
Und jetzt?
Wir wissen, dass wir uns an den Wettkampfstätten und im olympischen Dorf nicht äußern dürfen. Da uns auch empfohlen wurde, dass olympische Dorf nicht zu verlassen, werden wir wohl dableiben - damit haben sich Äußerungen erübrigt.
Würden Sie das Dorf gern verlassen?
Natürlich würde ich gern den Platz des himmlischen Friedens und die verbotene Stadt sehen. Aber wenn da niemand für meine Sicherheit garantieren kann, habe ich darauf keine Lust.
Es gibt auch eine Richtlinie, was Sportler vor Ort online machen dürfen.
Ich weiß. Ich hab aber keine Website oder Blog - und weiß auch gar nicht, wie das funktioniert. Uns wurde gesagt, dass wir persönliche Eindrücke wiedergeben, aber nicht journalistisch tätig sein dürfen: Also keine Spielberichte oder Geschichten über Dritte.
Sie selbst haben aber einen StudiVZ-Account.
Der wird wohl während der Spiele ruhen.
Dann können Sie sich ganz aufs Sportliche konzentrieren.
Der dritte Platz bei der letzten Weltmeisterschaft rückt uns automatisch in Medaillennähe, wobei man bedenken muss, dass das olympische Turnier deutlich besser besetzt ist. Mannschaften wie Paraguay nehmen dort nicht teil. Ich denke, dass wir wieder ins Halbfinale kommen können.
und dann eine Medaille?
Das wäre supergeil. Es wäre der zweite Traum, der wahr würde: Erst die Teilnahme und dann noch eine Medaille.
Sie spielen seit vier Jahren beim dänischen Meister Vibork HK. Mittlerweile sind fünf weitere deutsche Nationalspielerinnen in Dänemark tätig. Ist dadurch das Niveau des Nationalteams gestiegen?
Ja. Die dänische Liga gilt als die stärkste der Welt, dementsprechend hoch ist dort auch das Niveau, und fast alle wurden in internationalen Wettbewerben eingesetzt. Obwohl in Leverkusen und Leipzig auf einem ähnlichen Level gespielt wird.
Was fehlt dem Frauenhandball in Deutschland?
Die mediale Aufmerksamkeit. Das ZDF berichtet lieber über den Spielausfall eines Fußball-Bundesligisten, als das von uns aufgezeichnete Spiel in Ausschnitten zu zeigen. In Deutschland kommt halt erst Fußball und dann lange nichts.
Woran merken Sie das?
In Dänemark erkennt mich fast jeder. In Deutschland kennt mich niemand. Letztes Jahr habe ich im Zuge meiner Diplomarbeit eine Imageanalyse des Viborg HK gemacht und nachgezählt, dass 17 Spiele live im Fernsehen gezeigt wurden. Die deutschen Mannschaften haben höchstens 17 Minuten TV-Präsenz pro Saison.
Obwohl Dänemark die beste Liga hat, konnten sich die dänischen Frauen nicht für Olympia qualifizieren. Ist das ein ähnliches Phänomen wie im englischen Fußball?
Das wollen die dänischen Offiziellen gerne so darstellen, aber das stimmt nicht. Die Stammspielerinnen Dänemarks spielen hier in der Liga alle in ihren Vereinen in den ersten Sieben.
Woran liegt es dann?
Die Zeit der sogenannten Eisen-Ladys [die 1996, 2000 und 2004 jeweils olympisches Gold für Dänemark holten, d. Red.] ist vorbei. Nun müssen die Däninnen den Umbruch schaffen.
INTERVIEW JÜRN KRUSE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Wie er die US-Wahl gewann
Die Methode Trump