Deutsche Börse und NYSE wollen fusionieren: Zwei Riesen tun sich zusammen
Die Deutsche Börse und die NYSE Euronext wollen fusionieren und den weltgrößten Handelsplatz für Wertpapiere gründen. Ihre Kunden würden nicht unbedingt profitieren.
Die Reaktionen auf die wichtigste Unternehmensmeldung der Woche waren gemischt: Die Deutsche Börse in Frankfurt am Main und die New Yorker NYSE Euronext wollen sich zum weltgrößten Handelsplatz zusammenschließen - zumindest führen sie darüber Gespräche "in einem fortgeschrittenen Stadium", wie es aus den Unternehmenszentralen hieß.
Während die Aktienkurse daraufhin am Donnerstag hochschnellten, beschwerten sich Aufsichtsratsmitglieder, sie seien nicht informiert worden. Und Analysten zeigten sich skeptisch, dass die Verhandlungen erfolgreich sein könnten. In dieser Diskussion ging die Frage beinahe unter, was die beiden Unternehmen überhaupt treibt: In der Branche gibt es eine zunehmende Konzentration, für die es gute Gründe gibt, die aber auch für die Beschäftigten, für die Kunden und für die Politik Folgen hat.
Die Deutsche Börse interessiert sich schon lange für die jetzigen Gesprächspartner. 2006 verhandelte sie mit der damals noch eigenständigen Euronext, die Handelsplattformen in Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Portugal und Großbritannien hat. 2007 musste sie jedoch zusehen, wie die NYSE die Fünfländerbörse übernahm. 2008 trat sie dann erstmals an die inzwischen fusionierte NYSE Euronext heran - und scheiterte.
Nun planen die beiden Unternehmen erneut "eine Fusion unter Gleichen". Die Deutsche Börse soll dabei mit 60 Prozent die Mehrheit an der gemeinsamen Plattform halten. Diese hätte einen Börsenwert von rund 26,4 Milliarden Euro und einen Umsatz von 15,7 Billionen Euro. Zum Vergleich: Die Nummer zwei bei der Marktkapitalisierung ist die Hong Kong Exchange mit 17 Milliarden Euro, die Nummer zwei beim Umsatz die Nasdaq OMX mit 9,83 Billionen Euro.
Zugleich soll die Zusammenlegung jede Menge sparen helfen: Die Unternehmen bezifferten die "möglichen Synergieeffekte" auf rund 300 Millionen Euro. Wo die genau liegen, blieb offen. Klar ist allerdings, dass zumindest viele Mitarbeiter der Deutschen Börse um ihre Jobs bangen müssten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Vorstandschef Reto Francioni die derzeit rund 3.300 Stellen gern deutlich reduzieren will.
Die Kunden dürften eher draufzahlen. Die neue Größe der Börsenbetreiber bedeutet auch wachsende Macht - etwa bei der Gebührengestaltung. Richard Repetto, Analyst bei der Investmentfirma Sandler ONeill, warnt konkret davor, dass der fusionierte Konzern ein Quasimonopol auf den Handel mit Terminkontrakten hätte.
Zugleich könnte es sein, dass der neue Gigant weniger stark staatlich kontrolliert wird. Vermutlich wird er nach US-Recht reguliert und beaufsichtigt. Das würde beispielsweise flexiblere Zulassungsregeln bedeuten.
Rein aus Sicht der Deutschen Börse kann die Fusion dagegen einiges bringen: International ist die Konzentration in vollem Gange. Erst am Mittwoch hatte die Londoner Börse LSE erklärt, die kanadische TMX übernehmen und damit zur weltweiten Nummer vier aufsteigen zu wollen. Wenn die Frankfurter weiter eine Rolle auf den internationalen Finanzmärkten spielen wollen, müssen sie selbst wachsen.
Konkurrenz haben sie dabei nicht nur von den etablierten Börsen zu befürchten. Seit die EU mit ihrer Finanzmarktrichtlinie vor dreieinhalb Jahren das Monopol der staatlich beaufsichtigten Börsen gekippt hat, dürfen Aktien und andere Wertpapiere auch an alternativen Plattformen gehandelt werden. Inzwischen tummeln sich rund 120 große und kleine - durchaus nicht immer seriöse - Anbieter in diesem neuen Segment. Die größte unter ihnen, Chi-X Europe, hatte der Deutschen Börse im europäischen Aktienhandel zuletzt nach eigenen Angaben bereits den Rang abgelaufen. Derzeit sucht sie selbst einen Käufer. Bis Freitag sollen Gespräche mit verschiedenen Bietern aus den USA geführt werden.
Gegen eine andere Entwicklung nützt die Fusion der Deutschen Börse allerdings wenig. Ein immer größerer Anteil der Transaktionen wird außerbörslich getätigt, over the counter, heißt das: OTC. Bei den Papieren in den großen europäischen Aktienindizes machten diese Geschäfte, die direkt zwischen den Banken und Kunden abgewickelt werden, zuletzt mehr als ein Drittel des Handelsvolumens aus. Ein Zehntel davon ist komplett anonym, wird den Börsen also nicht einmal gemeldet. Diese Intransparenz gefährdet Kunden, vor allem aber die Stabilität der Märkte. Dagegen kann allerdings die Deutsche Börse nichts tun. Das wäre Sache der Politik.
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