Deutsche Arbeitnehmer in Szczecin: Die West-Ost-Wanderung
Als Polen vor vier Jahren EU-Mitglied wurde, fürchteten deutsche Politiker noch die Billiglöhner. In der Region Szczecin ist es andersherum gelaufen.
SZCZECIN taz "Dzien dobry", hallt es durch die Werkhalle. Der Deutsche ist da, Jens Stark begrüßt seine Kollegen auf Polnisch. Der 26-Jährige fühlt sich sichtlich wohl unter seinen polnischen Kollegen bei Wesa, einer Firma aus Szczecin, die Zäune und Tore baut. In der Halle klackert das Schweißlicht. Funken fliegen. Es riecht nach Schmieröl.
"Hier wird noch alles von Hand gemacht", erklärt Jens Stark seinen Job, "Rohre auf Länge schneiden, bohren, schleifen, Kanten brechen." Seit sieben Jahren arbeitet der Gas-Wasser-Installateur in der Metallverarbeitung, immer ist er der Arbeit nachgereist - erst Hamburg, dann Holland, später Belgien. Vor kurzem ist der kräftige Mann mit den langen Haaren ins vorpommersche Koblentz zurückgekehrt, dorthin, wo er aufgewachsen ist. Jetzt ist er froh, endlich mal "vor der Haustür" arbeiten zu können. Damit meint er Stettin, die 420.000-Einwohner-Stadt, zehn Kilometer jenseits der Grenze gelegen. Vor drei Wochen hat Jens Stark hier bei Wesa angefangen. Fürs Erste ist sein Engagement als Praktikum deklariert, denn noch fehlt ihm die Erlaubnis, in Polen zu arbeiten.
Um die kümmert sich seine Chefin Aneta Wessels. Das sei nicht ganz einfach, erklärt sie: "In Szczecin ist die Arbeitslosigkeit zuletzt zwar stark gesunken. Aber dem polnischen Arbeitsamt ist es noch immer schwer klarzumachen, wenn wir unsere Arbeiter aus Deutschland holen." Dabei dürfen sich deutsche Arbeitnehmer in Polen schon seit über einem Jahr frei bewegen. Gerade Firmen wie Wesa mit vielen Kunden in Deutschland brauchen dringend Leute wie Jens Stark, die vor Ort die Tore und Zäune montieren und auf Kundenwünsche eingehen.
Dieser Nachfrage ist der Metallarbeiter gefolgt, dabei hat er - ohne es zu ahnen - einen Präzedenzfall geschaffen. Denn das Problem ist, dass er als Deutscher von einer polnischen Firma für die Arbeit bezahlt wird, die er überwiegend in Deutschland verrichtet. Weder die polnischen noch die deutschen Behörden wissen bislang, wie sie mit Grenzgängern wie ihm verfahren sollen. Erhält der Arbeitnehmer eine deutsche oder eine polnische Sozialversicherung? Und wo wird die Lohnsteuer gezahlt?
Bis die Ämter das geklärt haben, bleibt Jens Stark im Ungewissen. Dabei hat er zuvor noch, gleichermaßen unbekümmert wie hartnäckig, die Agentur für Arbeit in Pasewalk von seinen Praktikumsplänen überzeugen können: "Auf dem Vordruck gabs nicht mal eine Spalte für so was." Der Facharbeiter schüttelt den Kopf, er hofft, nicht in einer Sackgasse gelandet zu sein. Als er vor sieben Jahren seine Ausbildung abgeschlossen hatte, wollte ihn die Arbeitsagentur in eine Beschäftigungsmaßnahme stecken. Da ging er lieber in den Westen. "Jetzt habe ich denen aufm Amt gesagt: Egal, was ihr wollt, ich mach mein Praktikum in Polen und seh dann weiter." Er will kein Fahrgeld für die 30 Kilometer, die er täglich von seinem Wohnort nach Szczecin pendelt, nur die Erlaubnis, jenseits der Grenze zu arbeiten.
Djane Jennricke von der Pasewalker Arbeitsagentur hat zwar nichts dagegen, Arbeitslose über die Grenze nach Polen zu vermitteln. Aber, gibt sie zu bedenken, das könnte "leicht die eingeschränkte Freizügigkeit aushebeln, die für Polen auf dem deutschen Arbeitsmarkt besteht". Auf der Strecke blieben dann Fachkräfte wie Jens Stark und Unternehmer wie Aneta Wessels, für die grenzüberschreitende Jobs schon lange Alltag sind.
Aneta Wessels führt die Firma zusammen mit ihrem Mann Evert, einem Niederländer, der Anfang der 90er-Jahre nach Ostdeutschland kam. Dort hat der 55-Jährige ehemalige Genossenschaften in Hühnerfarmen umgebaut. Evert Wessels ist ein gewiefter Unternehmer, der die Herausforderung sucht. Aber der Anfang in Szczecin vor sieben Jahren war auch für ihn schwer. "Wir hatten so gut wie keine Privatkunden. Alles lief über Großhandelsabnehmer, und die haben uns die Preise diktiert", erinnert er sich. Mittlerweile ist der Kundenstamm gewachsen, der Betrieb ist etabliert. 1,5 Millionen Euro Umsatz im Jahr erwirtschaftet das mittelständische Unternehmen mit seinen 25 Beschäftigten.
Den Kontakt zu Wesa bekam Jens Stark über eine Hamburger Firma, bei der er angestellt war und die mit den Wessels kooperiert. "Hier kann ich 500 Euro die Woche verdienen, das ist zwar nur die Hälfte von dem, was ich früher in Holland bekommen habe. Aber das Doppelte, was drüben auf deutscher Seite gezahlt wird", sagt er. Szczecin ist für ihn eine weitere Station in seinem Leben als Arbeitsmigrant. Dass es dieses Mal Richtung Osten geht, ist nur folgerichtig. Mit der polnischen Sprache hapert es zwar noch, aber in der Firma schnappt er täglich neue Wörter auf. "Für einen Metaller reichts", meint Jens Stark. Und wenn die Verständigung mal gar nicht klappt, fragt er den Werkstattleiter, der spricht gut Deutsch.
Schon als Azubi fuhr Jens Stark am Wochenende oft in die Disko nach Szczecin. Seine Freunde dagegen fuhren lieber 150 Kilometer zum Konzert nach Berlin, erinnert er sich an seine alte Clique. "Dabei ist Szczecin nur einen Katzensprung entfernt. Auch wenn die Kontrollen jetzt weggefallen sind - die Grenze ist bei vielen noch immer im Kopf. Denen reicht es, auf dem Polenmarkt hinter der Grenze in Lubieszyn Schnäppchen zu machen." Er aber fühlt sich angezogen vom Flair der Altbauviertel aus der Jahrhundertwende, als Szczecin zu Preußen gehörte und Stadtplaner großzügige Plätze anlegten, die heute Plac Grunwaldzki oder Plac Zwyciestwa heißen und über die noch die alten Straßenbahnen rumpeln.
Das Unternehmen der Wessels liegt an einer Ausfallstraße im Westen der Hafenstadt, in dem alten Industriekomplex wurden früher Heizungsanlagen produziert. Nach der Wende haben mittelständische Unternehmen die Hallen gemietet. Leerstand gibt es nicht, obwohl von den Wänden überall der Putz bröckelt. "Auf die Fassade guckt hier keiner. Die Maschinen müssen funktionieren, das zählt", meint Jens Stark. Natürlich sei der veraltete Maschinenpark nicht mit der Ausstattung in Hamburg oder Holland zu vergleichen, "aber die Leute hier bringen die Dinger zum Laufen. Das sind schon ausgefuchste Burschen, die Polen." Szczecin erlebt einen nie da gewesenen Bauboom. Die auf Paletten gestapelten Gips- und Zementsäcke tragen die Namen deutscher Hersteller, Baumaterial ist mittlerweile günstiger aus Deutschland zu bekommen.
Die Grundstückspreise im Umland der Hafenstadt sind in den letzten Jahren explodiert: In Dobra, nordöstlich von Szczecin, kostet der Quadratmeter unerschlossenes Bauland mittlerweile 300 Zloty (87 Euro), während auf deutscher Seite ein erschlossener Quadratmeter für 25 Euro zu haben ist. Kein Wunder, dass sich mehr und mehr Polen jenseits der Grenze im ländlichen Vorpommern niederlassen. Mit ihnen kommt die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung - wenngleich die Zugezogenen überwiegend noch zur Arbeit nach Szczecin pendeln.
Polnische Firmen haben sich wegen der fehlenden Freizügigkeit erst wenige niedergelassen. "Wir brauchen aber die Polen, damit wir den Anschluss halten", meint Jens Stark. Für den Arbeiter, der nach Feierabend mit dem Blaumann ins Auto steigt, ist Ostvorpommern kein ödes Niemandsland mehr, sondern der Ausläufer einer Großstadt. Er hat den Schritt gewagt, sich Arbeit in Szczecin zu suchen. Viele seiner Freunde sind schon vor Jahren in den Westen gegangen, die wenigen, die geblieben sind, warten in den Dörfern, dass die Arbeit zu ihnen kommt. "Manchmal fragen mich meine Kumpels, ob ich ihnen auf dem Rückweg Zigaretten mitbringen kann", erzählt Jens Stark. Die sind in Polen billiger.
Die Annäherung zwischen Deutschen und Polen im Grenzgebiet verläuft nur zögerlich. Lang gehegte Vorbehalte gibt es noch immer, und die wiegen schwerer als die Sprachbarriere. Den Arbeitern bei Wesa bereitet es bislang kein Vergnügen, zu den Kunden nach Deutschland zu fahren. Zwar sind die Schlagbäume im Dezember gefallen, kontrolliert werden sie aber auf ihren Anfahrtswegen wie in den Jahren zuvor. "Fast immer werden unsere Pritschen und Laster von der Polizei angehalten", sagt Evert Wessels, die Lieferscheine werden dreimal umgedreht. "Das dauert dann jedes Mal eine halbe Stunde." Einmal passierte das sogar bei einem Berliner Kunden direkt vor der Haustür. Darüber regt sich Evert Wessels noch immer auf: "Stellen Sie sich vor, wie der Kunde geguckt hat. Er hat einen neuen Zaun für sein Grundstück bestellt und hatte dann die Polizei im Haus."
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