Deutsche Afghanistan-Rückkehrer: Forscher fordern Feldstudie zur Psyche
Jeder Fünfte hat depressive Symptome – das ist ein Ergebnis der ersten Stichprobe zur Verfassung von Afghanistan-Rückkehrern der Bundeswehr. Psychologen dringen auf eine große Studie.
BERLIN taz Ein ranghoher Bundeswehr-Psychologe sowie die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges fordern von der Streitkräfteführung, eine umfassende Feldstudie zur psychischen Belastung von deutschen Afghanistan-Rückkehrern in die Wege zu leiten. Anlass sind die Ergebnisse der ersten wissenschaftlichen Stichprobe zum Thema.
Knapp jeder fünfte Isaf-Soldat (19,5 Prozent) zeigte depressive Symptome oder Gereiztheit. Mehr als jeder Siebte (15 Prozent) lieferte Hinweise auf ein Alkoholproblem. Ein Drittel gab an, im Einsatz Belastendes erlebt zu haben. Ein bis 2,5 Prozent zeigten Anzeichen für ein Posttraumatisches Belastungssymptom (PTBS), bei dem ein Erlebnis wie etwa das Auffinden eines verhungernden Kindes zu Symptomen wie Panikattacken, Flashbacks oder Selbstmordgedanken führt.
Die Zahlen gehen aus einem Aufsatz in der Fachzeitschrift "Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie" hervor. Der Leipziger Medizinstudent Robin Hauffa präsentiert darin zusammen mit Co-Autoren Resultate seiner Befragung von 118 Bundeswehr-Soldaten des Kontingents Isaf VII nach einem Afghanistan-Einsatz 2005 im Rahmen seiner Dissertation - laut Hauffa, der selbst Sanitätsoffiziersanwärter der Bundeswehr ist, die erste wissenschaftliche Arbeit zum Thema.
Als Konsequenz aus den Ergebnissen müssten nicht nur Aufklärungsmaßnahmen ausgebaut werden, verlangt einer der Mitautoren des Artikels, Karl-Heinz Biesold vom Bundeswehrkrankenhaus Hamburg. "Da müsste man eine große Feldstudie zu machen. Wir müssen feststellen, wie groß der Bedarf an Behandlungskapazitäten in der Bundeswehr ist", so der Leitende Arzt der Abteilung Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie des Krankenhauses zu taz.de. Der Bedarf für eine solche Studie könne etwa vom Führungsstab der Streitkräfte angemeldet werden. Der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Reinhold Robbe, hatte bereits vor einem Jahr für die systematische Erforschung von Rückkehrer-Traumata plädiert.
Zustimmung erhält Biesold aus der Friedensbewegung. "Um eine bessere Aussage machen zu können, braucht die Bundeswehr eine größere Feldstudie mit rund 1000 Befragten", fordert Angelika Claußen, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Deutschland-Vorsitzende der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. Die gemachte Stichprobe sei zwar "ordentlich", komme aber fünfeinhalb Jahre nach dem Beginn des Afghanistan-Einsatzes zu spät und sei dem Problem methodisch nicht angemessen. "Es wird der Komplexität nicht gerecht, wenn nur quantitativ nach PTBS, Alkoholproblemen und depressiven Symptomen untersucht wird. Es müssen qualitative Studien gemacht werden, z.B. halbstrukturierte Interviews mit Soldaten. Nur so kann man inhaltlich etwas über deren Seele, Denken und Fühlen erfahren."
Auch die Ergebnisse der Untersuchung werden unterschiedlich bewertet. "Die depressiven Symptome sind überraschenderweise niedriger ausgeprägt als in der Allgemeinbevölkerung", resümiert Autor Hauffa. Gleiches gelte für Alkoholprobleme. Psychologin Claußen hält dagegen: "Alkoholprobleme und depressive Symptome wurden relativ häufig gefunden." Unstrittig ist, dass eine PTBS mit ein bis 2,5 Prozent unerwartet selten festgestellt wurde. Dies entspricht zwar den rund 670 Soldaten, die von 1996 bis 2006 in Bundeswehrkrankenhäusern wegen PTBS behandelt wurden, also rund einem Prozent der im Ausland Eingesetzten. Doch liegt es deutlich unter den Werten von Studien aus dem Ausland. "Man muss bei unseren Zahlen mit einer großen Dunkelziffer rechnen", sagt Biesold.
Denn trotz gewachsener Sensibilität bei Vorgesetzten ist bei Soldaten die Angst vor Stigmatisierung und beruflichen Nachteilen durch das Eingestehen psychischer Probleme noch immer groß. "Viele befürchten, als Schwächling oder Weichei gesehen zu werden. Das kommt relativ häufig vor", sagt Hauffa.
Das Problem ist in der militärischen Tradition tief verwurzelt: Noch im Ersten Weltkrieg hielten Nervenärzte Soldaten mit mentalen Beschwerden für Simulanten - und bestraften sie etwa mit Elektroschocks. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war noch von der Diagnose "Granatfieber" oder "Schützengrabenneurose" die Rede, später dem "Vietnamsyndrom". Noch heute sähen viele Soldaten es als ihre Aufgabe an, mit seelischen Verletzungen alleine fertig zu werden, sagt Hauffa. Es komme zu Verdrängung und Verleugnung. Eine US-Studie ergab, dass sich nur ein Viertel der Soldaten mit einsatzbedingten psychischen Problemen in Behandlung begab.
Mit der erwarteten Verlängerung des Isaf-Mandats am Freitag im Bundestag wird das Thema PTBS für die Bundeswehr dringlicher. Kampfeinsätzen waren deutsche Isaf-Kräfte bislang kaum ausgesetzt. Seit dem Afghanistan-Aufenthalt der Befragten 2005 hat sich die Sicherheitslage dort allerdings erheblich verschärft. Mit wachsenden Gefahren nehmen erfahrungsgemäß auch Stresserkrankungen zu, sagt Biesold. Sollten derzeit am Hindukusch stationierte Soldaten befragt werden, könnte es also bereits zu höheren Werten kommen - ein Trend, der sich bei einer Verstärkung des militärischen Engagements laut Biesold fortsetzen könnte: "Wir müssen damit rechnen, dass bei Einsätzen mit einem härteren politischen Mandat oder gar Kampfeinsätzen der Behandlungsbedarf deutlich größer wird."
Selbst eine erneute Befragung der Personen, die für die Dissertation bereits Anfang 2006 nach ihrem Einsatz 2005 Auskunft gaben, könnte inzwischen häufigere Belastungen aufzeigen: Oft zeigen sich mentale Probleme erst nach Jahren - wenn die Einsatz-Nachbereitung längst beendet ist.
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