Deutsch-türkisches Online-Medium: Özgürüz heißt „Wir sind frei“
Das deutsch-türkische Medium „Özgürüz“ von Can Dündar leistet seit Jahren unabhängigen Journalismus für die Türkei. Nun droht ihm das Aus.
„Warten wir auf das Wahlergebnis und schauen wir dann.“ Mehr als ein Mal hat der Journalist Can Dündar diese Antwort bekommen, als er sich um Spenden für die türkische Nachrichtenplattform Özgürüz bemühte, deren Chefredakteur er ist. Menschen, die ihn seit sechs Jahren unterstützen, weil ihnen die freie Presse in der Türkei am Herzen liegt, haben diese Unterstützung zuletzt minimiert. Deshalb ist das Exil-Medium, das von Deutschland aus Sendungen in die Türkei und auch an die türkische Diaspora in Europa sendet, aktuell mit dem Aus konfrontiert.
Dündar und Correctiv haben die Plattform in Zusammenarbeit gegründet, als der Journalist die Türkei verlassen musste, nachdem er aus der Haft entlassen worden war. Im Gefängnis saß Dündar, weil er als Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet einen Bericht über türkische Waffenlieferungen nach Syrien veröffentlicht hatte. Bei einem Telefongespräch erzählt Dündar der taz, dass das allgemeine Interesse für die Türkei zuletzt sehr abgenommen habe – und damit eben auch die Spenden an Özgürüz. Nachrichten über die Türkei finden sich nicht mehr auf Titelseiten, wie das noch vor ein paar Jahren der Fall gewesen ist. Laut Dündar hat das auch mit aktuellen globalen Kräfteverhältnissen zu tun.
Vor gar nicht so langer Zeit galt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan noch als persona non grata in Europa. Aktuell besetzt er eine Schlüsselrolle, weil die Türkei sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland im Dialog steht. Ob beim Getreideabkommen für ukrainische Exporte oder bei der Frage der Nato-Mitgliedschaft Schwedens: Die Haltung des türkischen Präsidenten ist entscheidend. Dündar mag keine Namen von Personen oder Organisationen nennen, aber er sagt, dass sich die gegenwärtige Vermittlerrolle der Türkei beim Krieg Russlands gegen die Ukraine auch auf manche Spendengeber ausgewirkt habe. Politisch befinde sich Europa derzeit in Geiselhaft: „Es geht nicht nur um Deutschland. Länder wie Schweden ändern für Erdoğan ihre Verfassung“, sagt Dündar.
Erdoğan regiert die Türkei mittlerweile seit 20 Jahren. Die Präsidentschaftswahl im kommenden Juni ist für ihn enorm wichtig. Seine Popularität hat er durch die hohe Inflation und die damit gestiegenen Lebenshaltungskosten eingebüßt. Die Oppositionsparteien zeigen sich deshalb siegessicher. Und Erdoğan greift auf gewohnte Mittel zurück, um an der Macht zu bleiben, und schränkt die Meinungsfreiheit ein. Ein Großteil der Print- und TV-Medien in der Türkei befindet sich mittlerweile unter der Kontrolle der Regierung. Um auch das Internet zensieren zu können, gilt seit Oktober das sogenannte „Gesetz gegen Desinformation“. Der entsprechende Artikel 29 erlaubt, Menschen mit bis zu drei Jahren Haft zu bestrafen, die Informationen verbreitet haben, die der Staat als Fake News bewertet.
Glaube an die Zukunft
Unter solchen repressiven Bedingungen brauchen freie Medien mehr Unterstützung denn je. Özgürüz wurde in der Türkei nach seiner Gründung schon zensiert, bevor es seine Arbeit überhaupt beginnen konnte. Mittlerweile gibt es zahlreiche Gerichtsentscheide, die die Einstellung von Özgürüz befunden haben. Der Journalist Erk Acarer, der auch für die taz gazete gearbeitet hat und heute über Özgürüz sendet, wurde vor zwei Jahren vor seiner Berliner Wohnung von Unbekannten angegriffen und verletzt. Mit ihren Radiosendungen und Podcasts erreichen die Reporter von Özgürüz trotz aller Widrigkeiten Millionen von Menschen. Das Team mit zehn Mitarbeiter:innen hat auf Youtube nahezu 200.000 Abonnent:innen. Trotzdem bleibt die Zukunft des Mediums ungewiss.
Dündar scheint trotz der begrenzten Möglichkeiten an eine Zukunft zu glauben: „Es geht nicht nur um unsere Leben. Es geht um die Zukunft der Türkei. Es geht um freie Presse, Nachrichten und Kommentare. Das ist moralisch und politisch wichtig. Deshalb werden wir bis zum Ende weitermachen.“ Wenn sie nicht genügend Spenden erhalten, würden sie bis zur Wahl im Sommer auch ehrenamtlich arbeiten, sagt er. Was dann passiert, sehen wir, wenn das Wahlergebnis feststeht.
Sie können Özgürüz mit einer Spende unterstützen:
Özgürüz Press gUGIBAN: DE04 4306 0967 1255 8386 00BIC: GENODEM1GLSVerwendungszweck: Özgürüz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles