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Detoxing im FrühlingZeit für digitalen Winterschlaf

Raus aus dem Internetnebel, rein in die kreative Betrachtung. Gerade jetzt, wo der Winter allmählich vorbei sein sollte.

Das Handy aus und raus in die Welt Foto: Westend/imago

F rühling ist meine liebste Jahreszeit. Wenn alles bevorsteht, aber der Winter so weit weg ist wie irgend möglich. Wenn die Daunendecke zum Auslüften auf den Balkon darf, bevor sie mindestens sechs Monate im Bettkasten verschwindet. Wenn die Übergangsjacke mit Pulli drunter warm genug ist, wenn die Frostnächte überwunden sind und die Sonne morgens wieder Trapeze auf die Raufasertapete malt. Eigentlich geht das Jahr erst jetzt los. Nicht als künstlicher Einschnitt wie an Silvester, sondern als milder Übergang.

An einem guten Frühlingstag stellt die Welt sich in den Weg. Auf so eine Art, die sagt jetzt leg das verdammte Handy weg und nimm die Kopfhörer raus, komm endlich zurück aus dem Internetnebel. Konsequenter Frühjahrsputz: Falte deinen zusammengeknüllten Körper auseinander, bügle die zerknitterten Gedanken, wasch den Kalk von den Pupillen. Wenn der Frühling erwacht, kannst du digital einschlafen. Guck nicht mehr stundenlang anderen Menschen beim Leben zu, sondern starre Löcher in deine eigene Umgebung. Wer weiß, was du findest.

Also starre ich große Löcher durch meinen Kokon, ich erstarre mir die Welt zurück. Die ist kein Stück so romantisch, wie Eduard Mörike behauptet hat, aber es gibt sie noch, das ist ja schon mal was. Und wer will, findet auch in der Großstadt ein blaues Band – den flatternden Rest einer Mülltüte zum Beispiel. Sowieso wird die Stadt wieder groß, sie besteht ja aus Plastik, Metall, Holz, also viel Material, das sich bei Wärme ausdehnt. Und wer es schafft, den Blick vom schwarzen Viereck abzuwenden, wer vor die eigenen Füße schaut, befreit langsam die Gedanken vom Mitläufertum, sieht alles mit Anfängeraugen. Die Welt ist doch sehr anders, wenn man nicht unmittelbar zur nächsten Szene swipen kann, wenn nicht jedes zweite Bild Werbung im Inspirationspelz ist und nicht jede dritte Passantin Lifestyleverkäuferin.

Vor meinen Füßen badet eine Gruppe Spatzen im Dreck. Wohin gehen bloß all die Spatzen zum Sterben? Im Kokon hätte ich mich das nicht gefragt, nicht im digitalen Winter. Das Informationszeitalter ist toll, aber auch ein Fantasiekiller. Man verlernt das wilde Ausdenken. Es macht einen Unterschied, ob man googelt oder eine Weile herumfantasiert: Vielleicht ziehen die Spatzen zum Sterben nach Süden, nach Korsika oder so. Vielleicht stürzen sie sich entkräftet in den Kanal. Vielleicht werden sie von Kurzhaardackeln verschluckt. Vielleicht sind Spatzen heimlich unsterblich.

Für die Wahrheit ist später immer noch Zeit. Da lernt man, dass Spatzen selten alt werden, die meisten werden von Katzen und Raubvögeln gefressen. Manche erliegen Krankheiten und Käfer vergraben ihre Überreste so schnell, dass selten mehr als ein paar Federn übrigbleiben. Nein, auch Frühling ist nicht romantisch. Aber zumindest im Märchen fliegen Spatzen zum Sterben nach Korsika, vielleicht, wenn man statt ins Handy vor die eigenen Füße guckt.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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