Details der Energiewende: Es werde öko, aber dalli!
Im Kanzleramt wird am Mittwoch über die Details der Energiewende gesprochen. Welche sind es und was bedeutet das?
Netzausbau
Wie dringend Deutschland neue Stromtrassen braucht, um die erneuerbaren Energien zu den Verbrauchern zu bringen, zeigt das Winterfazit der vier großen Übertragungsnetzbetreiber: „Das Energieversorgungssystem in Deutschland arbeitete an seiner Leistungsgrenze“, heißt es darin. Der Bundesverband Energie- und Wasserwirtschaft geht von 195.000 Kilometern neuer Verteilnetze aus, das sind die mit niedrigerer Spannung, die den Strom bis in die Häuser liefern. Zudem müssen bis zu 3.600 Kilometer neue Höchstspannungsleitungen gebaut werden.
Wie viel wirklich nötig ist, klären die Netzbetreiber bis zum Sommer, die groben Routen muss dann das Parlament genehmigen. Ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz soll künftig dafür sorgen, dass nicht mehr halbfertige Stromtrassen entstehen. Technische Innovationen könnten helfen: Netzbetreiber testeten zum Beispiel Gleichstromkabel, die an bestehende Masten gehängt werden. (MANUEL BERKEL)
Kraftwerksbau
Deutschland hat keinen Energieminister, weshalb sich Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) oft streiten, etwa um Solarförderung oder Energieeffizienz. Einigkeit herrscht eigentlich nur über das Wort „Hochdruck“. Beide sagen oft und gern, dass man mit „Hochdruck“ an der Energiewende arbeite, und fügen gern ein Erfolgsbeispiel an: Dass Deutschland bereits 2011 ein Fünftel seines Stroms aus erneuerbaren Quellen gewann.
Damit ist das Ziel der Bundesregierung, mindestens 35 Prozent bis 2020, locker erreichbar – und das, obwohl der Ausbau der Windenergie auf See klemmt. Es erweist sich als teurer und extrem kompliziert, die Stromkabel auf dem Meeresgrund und unter dem Wattenmeer hindurch zu verlegen. Siemens-Chef Peter Löscher sagte vergangene Woche unumwunden: „Wir haben die Komplexität der Projekte unterschätzt.“ Probleme bereiten derzeit auch Gaskraftwerke. Bau und Betrieb dieser Stromreserve lohnen sich zu wenig. (INGO ARZT)
Speichern
„Nachts scheint keine Sonne.“ Diese simple Wahrheit war lange ein Hauptargument gegen erneuerbare Energien. Noch immer sind Stromspeicher teuer und mit der einzig marktreifen Technik, den Pumpspeichern, wollen sich viele BürgerInnen nicht die Mittelgebirge verschandeln lassen. Deshalb steckt der Bund 200 Millionen Euro jährlich in die Erforschung neuer Speichertechnologien. Der vielbeschworene Lithium-Akku muss vor allem billiger werden. Für Großspeicher, die zum Beispiel Windstrom über Monate hamstern, gibt es bisher nur Prototypen.
Prädestiniert sind alte Gasförderstätten, in die Energie als Druckluft, Methan oder Wasserstoff gepumpt werden kann. Methan könnte bei Bedarf in Gaskraftwerken verbrannt werden, Wasserstoff Autos antreiben. Siemens testet zurzeit Elektrolyse-Container, die Wasserstoff in Millisekunden produzieren können. Die Regierung debattiert derzeit, wie Stromspeichern künftig gefördert werden soll. (MANUEL BERKEL)
Effizienz
Ohne effektiveren Verbrauch keine Energiewende. Deutschland schafft es seit zwei Jahrzehnten, immer mehr Güter mit weniger Energieaufwand zu produzieren. Um 1.000 Euro Bruttoinlandsprodukt zu erwirtschaften, waren 2009 27 Prozent weniger Energie nötig als im Jahr 1991. Der Effekt ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Wärme in der Industrie besser genutzt wird. Privathaushalte verheizen 73 Prozent ihrer Energie. Deshalb will die Bundesregierung möglichst schnell Gebäude besser dämmen lassen.
Allerdings: Die 1,5 Milliarden Euro an Fördermitteln dazu gelten als zu gering. Eigentlich sollten Sanierungswillige einen zusätzlichen Anreiz bekommen, indem sie die Kosten von der Steuer absetzen können. Das Gesetz hängt derzeit im Vermittlungsausschuss fest. Auf EU-Ebene ist es ausgerechnet Deutschland, das momentan eine Richtlinie über mehr Effizienz aufweicht – auf Betreiben des Bundeswirtschaftsministeriums. (INGO ARZT)
Akzeptanz
61 Prozent der Bundesbürger sind bereit, für die Energiewende mehr für ihren Strom zu zahlen. 54 Prozent der Befragten fänden eine Windenergieanlage in ihrer Nähe gut. Das ergab eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag des Verbandes kommunaler Unternehmen. Aber was ist mit den Bürgerinitiativen, die sich dagegen wehren? Klaus Rohmund ist Vorsitzender der Bürgerinitiative „Keine-380-kV-Freileitung im Werra-Meißner-Kreis“ in Hessen.
Ihn könnte man einen Energiewendeblockierer nennen, weil er sich gegen eine jener Stromtrassen engagierte, mit der Windstrom von Nord nach Süd fließen soll. Doch die Beschreibung greift zu kurz: „Wenn man sich jahrelang mit dem Thema beschäftigt, ist man bereit, Kompromisse einzugehen“, sagt er. Solange die Leitung nicht gegen den Naturschutz verstößt und in der Nähe von Wohngebieten unter die Erde wandert, akzeptiert er sie. (INGO ARZT)
Richtlinien
Die Energiewende in Deutschland ist kein nationaler Alleingang. Die gesamte EU hat sich dazu verpflichtet, 20 Prozent ihrer Energie bis 2020 aus regenerativen Quellen zu gewinnen. Im Jahr 2010 waren es bereits 12,4 Prozent. Bis 2050 soll der CO2-Ausstoß um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Trotzdem wird die deutsche Energiewende kritisiert. „Viele Partner sind besorgt, wenn ein großes Land wie Deutschland so eine Kehrtwende ohne Konsultationen hinlegt“, sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger kürzlich dem Spiegel.
Ohne EU klappt die Sache in Deutschland ohnehin nicht: Momentan ist hierzulande der klimaschädlichste Energieträger Braunkohle der billigste. Der Grund: Die Industrie in Europa muss für jede Tonne CO2, die sie ausstößt, ein Verschmutzungsrecht kaufen. Der Preis für diese CO2-Emmissionszertifikate ist so niedrig, das sich Klimaschutz nicht mehr lohnt. Nur die EU kann das ändern. (INGO ARZT)
Vorbild
Laut dem Renewable Energy Policy Networks stammten 2009 16 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen. Davon allerdings entfielen fast drei Viertel auf die „traditionelle Biomasse“, beispielsweise Herdfeuer mit Holz. Deutschlands Wind- und Solarboom ist in der Statistik im Promillebereich messbar. Wir könnten aber durchaus als Vorbild für andere dienen:
„Die Richtung, die Deutschland eingeschlagen hat, ist beeindruckend. Vor allem das Engagement der Zivilgesellschaft, die stark auf die Energiewende hingearbeitet hat. China setzt stark auf die sichere Versorgung mit Energie. Da steht die Debatte um die erneuerbaren Energien nicht so im Vordergrund.“ Kwong Tak Albert Lai, Vizechef der Civic Party Hong Kong. „Ich werde die Wind-, Solar- und Batterieindustrie nicht Deutschland oder China überlassen, weil wir uns weigern, hier das gleiche Engagement zu zeigen.“ Barack Obama, Rede zur Lage der Nation 2012. (BERNHARD PÖTTER)
Öko-Marx
RWE-Chef Großmann bezeichnete die Energiewende als Ökodiktatur, gern wird sie auch mit Planwirtschaft umschrieben. Aus bürgerlicher Sicht mögen die Begriffe Diktatur und Sozialismus synonym sein, Marx allerdings sieht sie als aufeinander folgende gesellschaftliche Zustände: Die Diktatur des Proletariats ist nur eine Übergangsphase zum Kommunismus.
Insofern ist die Energiewende auf gutem Weg: Der Proletarier eignet sich zwar nicht die Produktionsmittel per se an, aber immerhin die Energieproduktionsmittel. In einer neuen Marx-Interpretation ist also jeder, der sich eine Solarzelle aufs Dach schraubt, ein Revolutionär. Bedenklich stimmt, dass die Solarfabrik Kapitalisten gehört. Oder den Chinesen. (INGO ARZT)
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