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EU-britischer Gipfel in LondonDes Brexits neue Kleider

Neue Abkommen zwischen Großbritannien und der EU sollen den Neustart in den Beziehungen einläuten. Es geht um Hund und Katze, Migration und Munition.

BIsher müssen sich britische Hunde warm anziehen, um in die EU einzureisen: Kreative Hundemesse in Birmingham Foto: Joe Giddens / PA via AP

London/Berlin taz | Wir wollen mit Ihnen allen zusammenarbeiten“, verkündete Keir Starmer, als er zwei Wochen nach seinem Wahlsieg in Großbritannien im Juli 2024 den Londoner Gipfel der „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ mit allen Ländern Europas außer Russland und Belarus eröffnete. „Wir müssen neue, ambitioniertere Wege der Zusammenarbeit finden“, erklärte er und sprach von einem „Neustart“ (reset) der Beziehungen mit der EU: „Wenn wir als souveräne Partner zusammenarbeiten, sind wir eine mächtige Kraft für das Gute auf unserem Kontinent.“

Zehn Monate und einen Tag später will Keir Starmer nun mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den „reset“ in die Realität umsetzen. Zur Krönung eines Gipfeltreffens sollen am Montag in London mehrere neue Partnerschaftsabkommen unterschrieben werden.

Von einer „strategischen Partnerschaft“ spricht der britische Europaminister Nick Thomas-Symonds in einem Beitrag für den EU-feindlichen Sunday Telegraph. Großbritannien wolle „in einer unsicheren Welt Seite an Seite mit der EU auf sicherer Grundlage stehen“.

Thomas-Symonds hat in den vergangenen Monaten im Dauerkontakt mit seinem Gegenpart, dem slowakischen EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič, an den neuen Abkommen gefeilt.

Die drei Dimensionen des „reset“

Drei getrennte und sich teils widersprechende Stränge laufen in diesem ambitionierten „Neustart“ zusammen. Da ist zum einen der Brexit selbst, der 2020 nach mehrjährigen Wirren und Verhandlungen endlich in Kraft trat. Im dazugehörigen Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU, das 2021 in Kraft trat, ist eine Evaluierung nach fünf Jahren vorgesehen, also 2026 – nicht im Hinblick auf eine Neuverhandlung, sondern im Hinblick auf seine Umsetzung.

So gibt es bis heute keine Kontrollen bei Warenimporten aus der EU nach Großbritannien, wohl aber in umgekehrter Richtung – ein Ungleichgewicht, das sicher nicht von Dauer sein kann. Eine Regelung, dass EU-Fischer 75 Prozent ihrer bisherigen Fangquoten in britischen Gewässern behalten, ist auf fünf Jahre befristet.

Die Aussicht auf diese ohnehin anstehende Überprüfung vermischte sich nach Labours Wahlsieg 2024 mit Starmers Wunsch nach einer insgesamt engeren Zusammenarbeit. Früher war Starmer sogar ein Brexit-Gegner gewesen. Nun will er zwar nicht am EU-Austritt an sich rütteln – das wäre ein Sprengsatz für die britische Politik –, und auch einen Teil-Wiedereintritt, etwa in den Binnenmarkt, schließt er aus.

Aber Schwierigkeiten im Warenverkehr mit der EU sowie das Ende der Personenfreizügigkeit sind unter einzelnen Wählergruppen ein großes Ärgernis, nur noch eine Minderheit der Briten hält den Brexit für eine gute Idee. Labour hofft also auf pragmatische Erleichterungen.

Der dritte Strang besteht im Gang der Weltpolitik – der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die Rückkehr Donald Trumps als US-Präsident lassen Europa als Ganzes zusammenrücken. Großbritannien war Vorreiter bei der militärischen Unterstützung der Ukraine, und der Finanzplatz London ist zentral bei der Umsetzung von Sanktionen gegen Russland. Schon unter Boris Johnson war die Zusammenarbeit in diesen Bereichen aufgeblüht. Die Brexit-Verträge enthalten keine Partnerschaft in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik – das soll nun nachgeholt werden.

Wie das alles zusammenpasst – Evaluierung des Brexits, Erleichterungen im Grenzverkehr, Militärkooperation –, ist gar nicht so einfach. Formal ist der Londoner Gipfel Auftakt der turnusmäßigen Evaluierung, deswegen war der Verhandlungsführer auf EU-Seite Handelskommissar Šefčovič.

Frankreich stellt Fischerei in den Vordergrund

Aber tatsächlich geht es gar nicht um die Evaluierung des Handelsabkommens, sondern um Starmers „reset“-Ideen: neben der besseren Zusammenarbeit in großen Politikbereichen auch konkrete Dinge wie mehr Freizügigkeit für junge Menschen bis hin zu mehrjährigen Aufenthaltsrechten, bessere Vereinbarungen für britische Mu­si­ke­r:in­nen auf Tour in der EU sowie für britische Hunde und Katzen, Politik im Interesse arbeitender Menschen, bessere Grenzsicherung und Migrationsreduzierung. Es geht um viele sehr technische und bürokratische Fragen, in denen alles mit allem zusammenhängt.

Das von beiden Seiten angestrebte Partnerschaftsabkommen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist daher nicht isoliert zu betrachten. Eigentlich soll es vor allem britischen Unternehmen ermöglichen, sich für Aufträge des von der EU mit 150 Milliarden Euro angesetzten gemeinsamen Rüstungsbeschaffungsprogramms Safe (Security Action for Europe) zu bewerben.

Aber Frankreich, das dieses Programm vor allem als Konjunkturprogramm für seine eigene Rüstungsindustrie begreift, sperrte sich lange gegen eine britische Beteiligung. Erst verlangte Paris, dass die geltenden französischen Fangquoten in britischen Gewässern verlängert werden. Als das zugesagt war, kam die Forderung, dass Großbritannien zu 85 Prozent von Safe ausgeschlossen bleibt, um „strategische Selbstbestimmung“ der EU beizubehalten.

Bei manchen, etwa der estnischen EU-Außenpolitikchefin Kaija Kallas, stößt die französische Haltung auf Befremden. Dennoch soll die verteidigungspolitische Zusammenarbeit, zu der auch der gemeinsame Kampf gegen illegale Migration gehört, Kern der am Montag zu präsentierenden Vereinbarungen sein, auch wenn viele Details wohl noch nicht ausgearbeitet sind.

Zurück zu EU-Handelsbestimmungen?

Am anderen Ende der geopolitischen Bedeutung steht das Problem, dass britische Katzen und Hunde seit dem Brexit bei Reisen in die EU Mikrochips tragen und eine Gesundheitsprüfung vorweisen müssen, was ihren Besitzern hohe Kosten auferlegt. Großbritannien strebt nun eine Wiederaufnahme in das Tierpasssystem der EU an.

Das allerdings, heißt es, ist nur möglich als Teil eines umfassenden Sanitär- und Veterinärabkommens, das den Handel mit tierischen und pflanzlichen Produkten insgesamt erleichtert. Da ist ein vorsichtiger Balanceakt gefragt. Es geht einerseits um die britische Anwendung von in der EU verbotenen Pestiziden, während andererseits die britischen Standards für Tierhaltung höher sind als in der EU.

Laut Financial Times verlangt die EU eine automatische Übernahme von EU-Regeln durch Großbritannien auch in der Zukunft, was die Briten faktisch dem Europäischen Gerichtshof unterwerfen würde – dieses sogenannte „dynamic alignment“ ist eine „rote Linie“ für Brexit-Hardliner. Die britische Seite habe das nicht ausdrücklich ausgeschlossen, heißt es, sie würde aber eine gegenseitige Anerkennung jeweiliger Regeln vorziehen, wie es Standard in internationalen Handelsverträgen ist. Alles andere würde auch die anderen seit dem Brexit geschlossenen Handelsabkommen Großbritanniens mit Drittstaaten unterlaufen, mahnen konservative Kritiker.

Was auch immer am Ende die Einigung ist, sie wird von EU-Seite an ein dauerhaftes Beibehalten der bestehenden EU-Fangquoten in britischen Fischereigewässern geknüpft, was London bisher nur befristet gewähren will. Da die Fischerei nur 0,4 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung ausmacht, gibt es hier für Starmer Spielraum, obwohl gerade die Fischerei ein symbolisch aufgeladenes Thema für Brexit-Hardliner wie Nigel Farage ist, dessen Partei Reform UK derzeit in Großbritannien die Meinungsumfragen anführt. Konservative und Reform warnen bereits, Labour bereite eine „Kapitulation“ vor der EU vor und geloben, jeden neuen Deal im Falle eines Wahlsieges rückgängig zu machen.

Einfacher reisen, vor allem wenn man jung ist

Es ist also damit zu rechnen, dass dieses zentrale Politikfeld zumindest in seinen Details ausgeklammert bleibt. Stattdessen könnten einfachere Reise-, Lern- und Arbeitsmöglichkeiten für Menschen zwischen 18 und 30 Jahren, die alle als erstrebenswert ansehen und die unmittelbar sichtbare Vorteile bringen, im Vordergrund stehen. So soll es wieder einfacher für Briten werden, in die EU zu reisen, indem sie an der Grenze die bisher Bürgern des „Europäischen Wirtschaftsraums“ vorbehaltenen e-Gates nutzen können. Es sollen auch wieder mehr junge Europäer in Großbritannien leben und arbeiten können, durch ein „Youth Mobility Scheme“ für 18- bis 30-Jährige.

Letzteres steht aber im Widerspruch zum Ziel der Labour-Regierung, die legale Migration nach Großbritannien deutlich zu senken. Zu erwarten sind deshalb strikte Beschränkungen, in einem Abkommen mit Australien gibt es beispielsweise eine Obergrenze von 42.000 Personen pro Jahr. Das will aber die EU bislang nicht. Offen ist auch der Status von EU-Student:innen, die derzeit gesalzene Auslandsstudiengebühren an britischen Universitäten bezahlen – das möchte die EU ändern.

Vom Gipfel am Montag werden letztendlich vor allem Absichtserklärungen erwartet. Die technischen Einzelheiten werden dann später ausgetüftelt. Keir Starmer will vermeiden, in einer Endlosdebatte zum Brexit zu landen wie seine konservativen Vorgänger.

Er betonte in einem Interview mit der Times am Samstag, er werde nichts unterschreiben, was nicht im „nationalen Interesse“ liege, und verwies darauf, dass seine Regierung gerade erst Handelsabkommen mit Indien und den USA abgeschlossen hat – zwei Dinge, die den Konservativen an der Regierung nicht gelangen. Da habe man auch in zentralen Fragen nicht nachgegeben, so Starmer.

Großbritannien war dennoch das erste Land der Welt, das nach Donald Trumps massiven Zollerhöhungen mit einem Abkommen die Zollsätze wieder senken konnte. Der „reset“ mit der EU, dem größten Wirtschaftsblock für den britischen Außenhandel, wäre für Starmer nun die Krönung. Aber gibt er zu viel auf, riskiert er starke Angriffe von rechts.

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