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Derzeit gibt es kaum noch Chancen für den FriedensprozessKurzschluss in Nahost

In seiner eindrucksvollen Knesset-Rede sprach Bundespräsident Rau über die Versöhnung, nicht nur zwischen Deutschen und Juden, sondern auch zwischen Israelis und Palästinensern. Schon am nächsten Tag merkte er, dass die noch schwerer zu erreichen sein wird.

Acht Monate nach dem Amtsantritt Ehud Baraks ist der Frieden im Stau eingefroren. Der Regierungschef, der mit so großer Selbstsicherheit versprach, er werde in ein paar Monaten ein Abkommen mit Syrien und den Palästinensern zu Stande bringen, steht mit leeren Händen da. Die Syrer beschimpfen ihn, die Palästinenser sind so verbittert wie noch nie. Irgendetwas stimmt nicht.

Mit den Syrern ist die Sache einfach. Um sie zu beruhigen, muss Barak nur eine kleine Erklärung abgeben: nämlich dass er bereit sei, die Golan-Höhen bis zur Linie vom 4. Juni 1967 – dem Tag vor dem Sechstagekrieg – zurückzugeben. Dazu fehlt Barak jedoch die Courage. Er möchte sich drücken und zuerst über andere Themen sprechen. Assads Antwort darauf ist eindeutig „la“, Arabisch für nein.

Mit den Palästinensern ist die Sache ganz anders. Barak hatte von Anfang an einen Plan für die „permanente Regelung“ – er spricht nie über „Frieden“ mit den Palästinensern –, die er für äußerst großzügig hielt. Da Arafat diese Regelung als vollkommen unannehmbar ablehnt, ist Barak über so eine Undankbarkeit verärgert. Für den ehemaligen Generalstabschef ist Arafats Einstellung unerklärlich. Zumal Arafat im Gegensatz zu Assad, der über eine große Armee und Massenvernichtungswaffen verfügt, ja nur ein paar zehntausend schlecht bewaffnete Polizisten befehligt. Der Plan Arafats, und praktisch aller Palästinenser, ist klar: Sie wollen noch dieses Jahr, am Jahrestag des Oslo-Abkommens im September, einen Palästinenserstaat ausrufen. Wenn es geht mit israelischem Einverständnis – wenn nicht, dann eben ohne. Der Staat soll das ganze Gebiet des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens umfassen, mit dem arabischen Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Lediglich bei kleinen Grenzveränderungen zu Gunsten einiger Siedlungen ist Arafat kompromissbereit.

Vorher noch, im Rahmen des unerfüllten Oslo-Vertrages, sollen die Israelis 90 Prozent des Westjordanlandes räumen und besonders die arabischen Vororte Jerusalems, außerhalb der israelischen Stadtgrenzen, den Palästinensern übergeben. Doch daran denkt Barak gar nicht. Bis zum Endvertrag will er überhaupt höchstens ein paar Quadratkilometer Wüstenland zurückgeben.

Seine „permanente Lösung“ soll so aussehen: Ein Palästinenserstaat darf entstehen, aber seine Grenzen sollen von allen Seiten eingeengt werden, um große „Siedlungsblöcke“ an Israel anzuschließen. Das Jordan-Tal soll weiterhin unter israelischer Kontrolle stehen, aber nicht unbedingt offiziell annektiert werden.

Insgesamt soll der neue Palästinenserstaat allerdings nur noch 22 Prozent des ehemaligen Palästina umfassen. Ganz Jerusalem würde israelisch bleiben, aber die arabischen Stadtviertel könnten vielleicht eine Selbstverwaltung bekommen und irgendwelche Beziehungen zum Palästina-Staat haben. Von einer Rückkehr der Flüchtlinge ist überhaupt nicht zu reden.

Bei solchen von Grund auf verschiedenen Perspektiven können auch scheinbare Kleinigkeiten zu großen Krisen führen. Das ist die Situation heute. Barak hat Arafat winzige und wertlose Gebiete angeboten, Arafat hat entrüstet abgelehnt und die Sitzung abgebrochen. Kurzschluss.

Auf beiden Seiten spielt die Innenpolitik eine gewaltige Rolle. Syrische Agenten, islamische Fundamentalisten und Linksradikale werfen Arafat öffentlich vor, er habe Palästina an die Zionisten verkauft, nur um seine Freunde zu bereichern. Barak buhlt um die Gunst der rechtsradikalen Siedler mit Baugenehmigungen und Umgehungsstraßen. Die „Linken“ in Baraks Regierung sind taubstumm geworden. Nur die Siedler agitieren laut und aggressiv, obwohl sie mit Barak ganz zufrieden sind.

Man kann es Herrn Rau nicht verdenken, wenn er etwas pessimistisch nach Ägypten weitergereist ist.

Uri Avnery

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