Der stolzeste Buchstabe: Ö heißt Sehnsucht
Die türkische Sprache gilt als Ü-Sprache. Doch in Wahrheit ist das Ö viel stolzer und dramatischer. Wer würde schon einen Düner essen wollen?
Der Internetaphoristiker @NeinQuarterly twitterte vor einiger Zeit: „In Deutschland ist das #ü ein Vokal. In der Türkei ist es ein Way of Life.“ Davor schrieb er: „Ich könnte ohne das #ü leben. Aber es würde mir nicht gefallen.“ Einer seiner Follower namens @chavalmexicano stellte die einzige Frage, die auf solch eine infame Kampagne für einen Weicheibuchstaben zwingend zu stellen ist: „What about ö?“
Ja, was ist mit dem Ö? Ich bin großer Fan von @NeinQuarterly, helfe ich doch Woche für Woche, seine Vierzeiler in die Zeit zu heben. Aber das Ü derart in den Vordergrund zu schieben, das kann man als des Türkischen mächtiger Mensch nicht akzeptieren!
Das Ö ist ein stolzer, wenn nicht der stolzeste Buchstabe im Türkischen. Kommt er doch in den wichtigsten Wörtern vor. Özlem zum Beispiel, Sehnsucht. Was tun Menschen nicht alles, um Özlem zu befriedigen? Was nehmen sie nicht alles auf sich, weil Özlem so stark ist, meist in aller Heftigkeit über sie kommt? Gibt es ein krasseres Gefühl als Özlem?
Das sollten sich mal all diese Hersteller von Tassen und Schlüsselanhängern fragen, wenn sie Sandra, Lotte und Paul ins Programm nehmen, aber Özlem links liegen lassen. Was stand ich mir als Kind vor diesen Tassen die Beine in den Bauch, suchte und suchte. Wie konnte das angehen, dass die keine Becher mit Özlem hatten?
Die Autorin ist Redakteurin der Wochenzeitung Die Zeit. Ihre Freunde nennen sie Ö.
Es gibt weitere wichtige, stolze, ja dramatische Wörter, die ohne das Ö nicht möglich wären. Özgürlük, die Freiheit. Ölüm, der Tod. Öz, das Eigentliche oder das einzig Wahre. Öpmek, küssen. Önder, der Führer (is’ bei denen nicht so ein pröblematisches Wort). Und klar, der Döner. Mal ehrlich, wer würde denn einen Düner essen wollen?
Eine Tasse habe ich mittlerweile, von Öger Tours bekommen. Sie ist wunderschön, und es ist ein wunderschönes dickes fettes rotes Ö drauf.
Glauben Sie mir: Das Ü ist das Ö für Memmen. Und wir sollten doch bitte alle akzeptieren, was sogar die Hersteller des örtlichen Telefonbuchs längst geschnallt haben: „Ohne Ö fehlt dir was.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“