: Der springende Jubilar
■ Ein weißes, rundes Stück Zelluloid wird 100 Jahre alt
Im wahrsten Sinne des Wortes: Der Jubilar ist springlebendig. Gemeint ist der Tischtennisball, der vor nunmehr 100 Jahren das Licht der Sportwelt entdeckt hat. Der englische Ingenieur James Gibb war es, der anno 1890 aus Amerika zurückkam, mit einer wahrhaft revolutionierenden Erfindung im Gepäck: einem kleinen Zelluloidball, der seither ganze Generationen von Menschen in seinen Bann gezogen hat.
Das Tischtennisspiel ist zwar älter als sein 100 Jahre alter Mittelpunkt, so mußten vor der „Zeitrechnung nach Gibb“ andere Mittel herhalten. Der geheimnsivolle indische Gummiball zum Beispiel, ebenso wie ein rundgeschnitzter Korken. Aber James Gibb hat mit seiner Erfindung einen ganzen Industriezweig ins Leben gerufen.
Die kleine, nur zweieinhalb Gramm leichte Zelluloidkugel, von der eine unerklärlich große Faszination ausgeht, hat bewegte Zeiten hinter sich. Ausgesprochen schwierig war die Versorgungslage in den Nachkriegsjahren. Zelluloid war knapp und Tischtennisbälle deshalb kaum zu bekommen. Damals wurde das kleine, weiße Etwas mit Hilfe eines anderen Zaubermittels — dem Lösungsmittel Aceton — immer und immer wieder geflickt. Öfter jedenfalls, als es seiner wohl anzusehenden Rundlichkeit gut tat. Die Berechenbarkeit der Flugbahn litt schwer, Schläge in die Luft kamen weitaus öfter vor als dies heute passiert.
Als sich schließlich im Zuge der allgemeinen Psychologisierung findige Farbexperten des Tischtennisballs annahmen, wurden ihm bunte Gewänder angelegt. Gelb, so hieß es, sei die augenfälligste Farbe und ermögliche die beste Reaktion. Doch diese Erkenntnis liegt mehr als zwei Jahrzehnte zurück, und unser Ball präsentiert sich immer noch blütenweiß.
Eines aber konnte Gibb nicht wissen: Daß seine Erfindung zweckentfremdet werden sollte: Denn die weißen Lottokügelchen, die allwöchentlich Tellerwäscher zu Millionären machen, sind nichts anderes als — Tischtennisbälle. Horst Biese
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