Der spanische Christian Drosten: Wirres Haar, heisere Stimme
Fernando Simón ist mit verständlichen Erläuterungen rund um die Coronakrise zur Kultfigur geworden. Das Antlitz des Virologen ziert sogar T-Shirts.
Es ist das T-Shirt des Sommers. „Fucking Master“ steht über dem Porträt eines Herrn mit wirrem, weißem Haar und herausgestreckter Zunge. Albert Einstein? Nicht ganz, wie ein Blick auf die Unterzeile verrät. Dort steht ein leicht abgewandeltes Zitat des deutschen Nobelpreisträgers: „Zwei Dinge sind unendlich. Das Coronavirus und die menschliche Dummheit. Aber beim Virus bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Der „Fucking Master“ ist Fernando Simón, Chef des Koordinationszentrums für sanitäre Notfälle (CCAES) in Madrid und damit so etwas wie der spanische Christian Drosten. Der 56-jährige Virologe, der seit März mit seiner heiseren Stimme täglich über die Entwicklung der Pandemie informiert, ist das Symbol der harten Ausgangssperre und einer nicht enden wollenden Covid-19-Krise, die das Land auf der Iberischen Halbinsel so hart getroffen hat wie nur wenige andere.
„Fucking Master“ ziert neben Shirts auch Badetaschen und Tassen. Es ist nicht das einzige Motiv. „Mehr Simónes und weniger Borbones“ dürfte den Gegnern der Monarchie gefallen. Und für Kinofans unterstreicht „Clean Simón“ den Satz „Was an den zwei Metern Abstand hast du nicht verstanden?“ mit vorgehaltener Waffe.
Der Slogan „Ich habe die Mandel überlebt!“ erinnert an einen Hustenanfall zu Beginn einer Pressekonferenz. Alle fürchteten das Schlimmste, bis Simón beruhigte: „Entschuldigung. Ich habe kurz vor Beginn eine Mandel gegessen.“ Covid hatte er damals schon zwei Wochen hinter sich. Trotz Fieber stand er aus der heimischen Quarantäne immer wieder Rede und Antwort.
Der heilige Simón
Im Netz sind Datensätze für Simón-Figuren aus dem 3-D-Drucker zu finden. In Valencia ziert ein J.-Warx-Graffiti des Hustenanfalls eine Wand. In Madrid ist es ein gepixeltes Porträt aus Kacheln von Basket of Nean, neben dem Schild der „Straße des Heiligen Simon“. Natürlich darf der CCAES-Chef auch in der beliebten Satiresendung „Polònia“ des katalanischen TV3 nicht fehlen. Und das Titelblatt der Wochenendbeilage der Tageszeitung El País zeigte den Arzt in Lederjacke auf seiner schweren Maschine.
Mit Ruhe und Bescheidenheit, wie sie selten in Spanien anzutreffen sind, erklärt Simón der Bevölkerung Hygienemaßnahmen und den Stand der tragischen Dinge. Er stellt sich geduldig der Presse, offen und direkt. Wenn er einmal eine Studie nicht kennt oder sich etwas nicht erklären kann, gibt er das zu: „Fragen sie morgen noch mal, ich mache mich schlau.“
Er fordert Solidarität von Jugendlichen mit den gefährdeten Älteren, lobt die Kinder „für ihr vorbildliches Verhalten“ und fordert sie auf zu helfen, dass zu Hause die Stimmung nicht kippt. Gefragt, warum Hotels und Kneipen so schnell zu einer neuen Normalität übergehen sollen, wird er fast philosophisch: „Vielleicht sind wir eines Tage ein Land, das von der Wissenschaft lebt. Aber derzeit sind wir ein Land, das vom Tourismus lebt.“
So sehr ihn die Linke liebt, so sehr hassen ihn die konservative Partido Popular (PP) und die rechtsextreme VOX. Sie sahen in dem Wissenschaftler von Anfang an das schwächste Glied der Kette, um die Linksregierung mithilfe der Pandemie zu Fall zu bringen. Sie werfen ihm vor, die Zahl der Toten zu beschönigen, und vergessen dabei, dass diese von den Regionalregierungen erhoben werden.
Den Rechten ein Dorn im Auge
Unstimmigkeiten gibt es dabei immer wieder dort, wo die Rechte regiert. Außerdem werfen sie Simón vor, kein Verbot der Frauentagsdemonstrationen am 8. März empfohlen zu haben. Das habe die Ausbreitung des Virus beschleunigt. Auch hier vergessen sie, dass am gleichen Wochenende VOX eine Großveranstaltung abhielt. Einer der Führer, die das Bad in der Masse genossen, erkrankte wenig später an Covid-19.
Simón gilt der Rechten „als Lügner, der die sozialkommunistische Regierung weißwäscht“, als deren „fahrlässiger“ und „unfähiger Büttel“. Dabei vergessen sie eines. Als der Virologe 2003 nach längerem Aufenthalt in Afrika und Lateinamerika sowie an einem namhaften Institut in Paris beauftragt wurde, das CCAES aufzubauen, regierte die PP. Und als er 2012 zum Chef des CCAES ernannt wurde und während der Ebola-Krise erstmals im Fernsehen zu sehen war, ebenfalls.
Simón bleibt ruhig. Er lässt sich ebenso wenig von seinen Gegner provozieren wie vom Personenkult beeindrucken. Denjenigen, die ihn als Popikone vermarkten, legt er nahe, „wenn irgend möglich“ einen „kleinen Teil der Einnahmen an NGOs zu spenden“. Und seine Nachricht an alle auf dem Weg in die Sommerferien: „Wir müssen uns bewusst sein, dass das noch nicht um ist.“ Simón wird wohl noch länger zum täglichen Fernsehprogramm gehören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen