Der sonntaz-Streit: „Betrüger am Steuersystem“
Schafft das Steuerrecht Betrüger? Unser Steuersystem fördert Ausreden, sagt Sven Giegold von den Grünen. Das ist eine faule Ausrede, entgegnet Hans Eichel.
Steuerbetrug für Dummies: Mit ein paar Kniffen kann jeder die vielen Steuersparmöglichkeiten nutzen, so das Versprechen zahlreicher deutschsprachiger Internetseiten. Gleich mitgeliefert werden handfeste Anleitungen zum Steuerbetrug. Ist das wirklich so einfach?
Das deutsche Steuerrecht trage maßgeblich dazu bei, Betrug zu befördern, sagt Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher im EU-Parlament: „Steuerzahlen ist unbeliebt. Doch unser System macht aus Lästigem ein rechtes Übel.“ Der Kampf gegen Steuerhinterziehung diene als eine Art „Aphrodisiakum der Steuermoral“, schreibt der Grünenpolitiker im aktuellen sonntaz-Streit.
Auch Rainer Sahm, Steuerberater und Buchautor von „Zum Teufel mit der Steuer“, sieht das hiesige Steuerrecht als Einladung zum Betrug: „Vielen geht es nicht darum, mehr Geld in der Tasche zu behalten. Sie sind getrieben vom Gefühl profunder Ungerechtigkeit“, so Sahm. „Keiner will eine ,Dummensteuer' bezahlen, wenn große Fische durchs Netz schlüpfen“. Das deutsche Steuersystem werde als Raubrittertum empfunden, schreibt Sahm. Dabei gibt er zu bedenken, ein faires Steuersystem zu entwickeln sei kein Hexenwerk.
Hans Eichel, ehemaliger Bundesminister für Finanzen, sagt: „Nicht das Steuersystem schafft Betrüger, sondern Betrüger machen sich am Steuersystem zu schaffen.“ Der SPD-Politiker weist darauf hin, dass es klare Grundregeln gebe, an die sich die Meisten hielten. „Trotzdem wird der Staat wissentlich betrogen.“ Dass dies am ungerechten deutschen Steuersystem liege, glaubt Eichel nicht.
„Keine triviale Aufgabe“
Auch die Vorstandsvorsitzende von „Schöne Aussichten – Verband selbstständiger Frauen“ schreibt, es sei nicht leicht, den Staat zu betrügen: „Wer sich genauer mit der Nachweispflicht gegenüber dem Finanzamt und den damit verbundenen Risiken beschäftigt, weiß, wie schwer es ist, Privates sicher in den Büchern unterzubringen“, so die Vorsitzende Andrea Förster-Schembach.
Den sonntaz-Streit zur Frage "Schafft das Steuerrecht Betrüger?", die Titelgeschichte "Wo fängt irre an?" und eine Fotoreportage über den Drogenkrieg in Mexiko lesen Sie in der neuen taz. am wochenende vom 11./12. Mai 2013. Darin außerdem: drei Karottenrezepte von Sarah Wiener. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.
Sie gibt den Aufwand zu bedenken und dass die hohen Nachzahlungen als Abschreckung dienen. Und: „Für die Positionen, mit denen wir als Unternehmerinnen wirklich Steuern sparen könnten, hat sich das Finanzamt bereits zu viele Nachweispflichten einfallen lassen.“
Die Gefahr der Steuerhinterziehung gehe von Steuersystemen anderer Länder aus, sagt Prof. Dr. Stephan Kudert von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder: „Tatsächlich ist es in Deutschland schwierig, Steuern zu hinterziehen. Unser System funktioniert im internationalen Vergleich sehr gut.“
Steuerflucht zu verhindern, „ist eine nicht triviale Aufgabe, der sich der deutsche Gesetzgeber, die Finanzverwaltung, aber auch die EU und die OECD mit zunehmendem Erfolg stellen“, so der Professor, der auf Internationale Steuerlastgestaltungen spezialisiert ist.
Marianne Schwan ist Steuerberaterin und hat das Buch „Steuertricks für Frauen“ geschrieben. Auch sie sagt: „Die Mehrheit der Steuerzahlenden betrügt nicht.“ Die Lohnsteuer werde direkt vom Lohn abgezogen und die Gestaltungsspielräume seien minimal: „Im Laden wird das Brot nur ausgehändigt, wenn man den im Verkaufspreis enthaltenen Steuerbetrag mitbezahlt“, so Schwan.
Den normalen VerbraucherInnen werde Betrug sehr schwer gemacht: „Liese und Otto Normalverbraucher können weder betrügen noch boykottieren, ein Steuerparadies ist unerreichbar“, schreibt die Steuerberaterin.
Die sonntaz-Frage beantworten außerdem Andreas Koristka, Redakteur beim Satiremagazin Eulenspiegel, Lisa Paus, Obfrau des Finanzausschusses im Bundestag, Rainer Holznagel, Präsident des Bund der Steuerzahler und die Leserin Kirsten Musyal – in der aktuellen sonntaz vom 11./12. Mai 2013.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Experten warnen vor Trump-Zöllen
Höhere Inflation und abhängiger von den USA
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Klimagipfel in Baku
Nachhaltige Tierhaltung ist eine Illusion