: Der „rote Ken“ wird gekrönt
London bekommt einen Bürgermeister: Ken Livingstone flog einst bei Labour raus. Die Bürger werden ihn wählen, weil sie Premierminister Tony Blair eins auswischen wollen. Alle anderen Kandidaten haben laut Umfragen keine Chance
von RALF SOTSCHECK
Die Londoner wählen heute zum ersten Mal einen Bürgermeister. Dass er Ken Livingstone heißen wird, daran besteht wenig Zweifel. Der „rote Ken“ lag bei Meinungsumfragen so deutlich vor den übrigen zehn Kandidaten, dass die einzige Gefahr, die ihm noch drohte, die Siegessicherheit seiner Anhänger war. „Geht bloß wählen und verlasst euch nicht auf die Umfragen“, schärfte er den Leuten bei seinen Wahlkampfauftritten ein.
Diese Auftritte hatten allerdings Seltenheitswert, Livingstone fehlt die Parteimaschine, seit er im Februar aus der Labour Party hinausgeworfen wurde. Finanziert wird sein Wahlkampf von Spenden und der London Socialist Alliance, zu der Livingstone aber gehörigen Abstand hält, weil er sich nicht als „loony left“ bezeichnen lassen und damit Wähler verschrecken will.
Doch so leicht lassen die sich nicht verschrecken, wenn Livingstone durch London läuft, wird er fast wie ein Popstar umjubelt. Man nimmt der Labour Party den Parteiausschluss übel, schließlich ist Livingstone gegen den offiziellen Labour-Kandidaten Frank Dobson angetreten, weil der nur nach einer eklatanten Manipulierung des parteiinternen Auswahlverfahrens nominiert worden war.
Dobson musste zur Kandidatur erst überredet werden. Er gab nur widerwillig seinen Posten als Gesundheitsminister auf. Nach dem verkorksten Auswahlverfahren war er von Anfang an auf der Verliererstraße, zumal der Wahlkampf kaum von Inhalten bestimmt, sondern von Livingstones Persönlichkeit überschattet wurde.
Dobson setzte zum Schluss auf Angstmache: Livingstone wolle Autofahrern 300 Pfund im Monat abnehmen, wenn sie ins Londoner Zentrum fahren, warnte er, aber mehr als ein, zwei Prozent der Vorortwähler hat er damit nicht überzeugen können. Die Londoner wollen vor allem Premierminister Tony Blair eins auswischen, das weiß auch Dobson. Was hat er nicht alles versucht, um sich von seinem Chef zu distanzieren. Die Labour-Führung habe verlangt, so ließ Dobson durchsickern, dass er sich den Bart abschneide, um bei den Wählern besser anzukommen. Dobson lehnte das kategorisch ab, und sein Wahlkampfteam interpretierte das als Beweis, dass er keineswegs Blairs Schoßhund sei.
Die Labour-Führung hat Dobson längst aufgegeben. Es geht ihr lediglich noch darum, einen demütigenden dritten Platz hinter dem Tory-Kandidaten Steve Norris zu vermeiden. Der lag in Meinungsumfragen nämlich vor Dobson, wenn auch nur um einen Prozentpunkt. Norris gilt als Liberaler. In einem heimlich aufgezeichneten Gespräch bezeichnete er vorige Woche den Tory-Kern als „rassistisch, sexistisch und homophob“. Sein Wahlkampfleiter Ceri Evans sagte, Norris fühle sich von der Partei „mehr und mehr losgelöst“. Was die Einrichtung von Lagern für Asylbewerber sowie die Verschärfung der Abtreibungsregelung betrifft, so liegt er jedoch auf einer Linie mit seinem konservativen Parteichef William Hague.
Er wäre viel lieber als Labour-Kandidat angetreten, sagte Livingstone vorgestern, und demnächst will er einen Antrag auf Wiederaufnahme in die Partei stellen. Dort winkte man bereits ab: Die Strafe für jemanden, der sich dem Parteidekret nicht unterwirft, ist ein Ausschluss für mindestens fünf Jahre.
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