■ Der rasante FPÖ-Aufstieg: Berechtigte Kritik, Stammtischsprüche
Als der damals 36jährige Jörg Haider vor zehn Jahren auf dem Parteitag der FPÖ den glanzlosen Norbert Steger ablöste, übernahm er eine Fünfprozentpartei, die um das politische Überleben kämpfte.Wie konnte aus der politischen Sekte eine Partei werden, die das politische Gefüge der Nachkriegszeit ins Wanken bringt?
Die FPÖ war nie eine klassisch liberale Partei, sondern entstand nach dem Zweiten Weltkrieg als Sammelbecken für Altnazis und Deutschnationale, eine Klientel, die langsam ausstirbt. Die Versuche des „Nachgeborenen“ Norbert Steger, der Partei ein liberales Profil zu verschaffen, stießen bald an ihre Grenzen. Das Potential einer solchen Partei wird wohl am besten durch die 4,2 Prozent anschaulich, die das Liberale Forum bei den Europawahlen erzielte.
Haiders Erfolg erklärt sich aus einer gelungenen Kombination von Inhalt und Präsentation. Deutlicher als jeder andere Politiker begann er Parteienfilz und Korruption zu kritisieren und die unübersehbaren Mißstände zu benennen. Haider kann es sich leisten, Feinde zu haben. Dank eines Erbes muß er sich um die eigene Zukunft keine Sorgen machen.
Haider versteht es, sich eines Stammtischvokabulars zu bedienen, das beim kleinen Mann bestens ankommt. Beim kleinen Mann nicht nur im übertragenenen Sinne. Während die SPÖ bei den Frauen noch stärkste Partei ist, wählten am Sonntag die Männer mehrheitlich „freiheitlich“. Grüne und Liberale konnten ihr Potential vor allem unter den jungen und und gebildeten WählerInnen konsolidieren, die Freiheitlichen finden bei den Proletariern am meisten Zuspruch.
Daß Haider nach wie vor die Deutschnationalen hofiert, scheint seine Sympathisanten wenig zu irritieren. Auch in seiner Wahlheimat Kärnten, wo Haider vor ein paar Jahren wegen seiner Bemerkungen über die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ im Dritten Reich als Landeshauptmann zurücktreten mußte, erfreut er sich ungebrochener Beliebtheit. Das beweisen die 39 Prozent, mit denen die FPÖ dort am Sonntag stärkste Partei wurde. Selbst das Festhalten an FPÖ-Generalsekretär Karl Schweitzer, dem enge Kontakte zu rechtsextremen Friedhofsschändern nachgewiesen wurden, legen Freunde als Charakterstärke aus.
Zu einfach wäre es, alle Haider-Wähler als Rechtsextreme abzustempeln. Der Feldzug gegen Politikerprivilegien und die Forderung nach einer Höchstgrenze für Politikerbezüge ist so populär wie das Versprechen, die EU-Mitgliedschaft neu zu verhandeln. Ob der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg des Einpeitschers wirklich ins Kanzlerbüro am Ballhausplatz führt, das wird erst die nächste Nationalratswahl zeigen.
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