■ Press-Schlag: Der ominöse Kniefall
Die Konstellation ist so, wie sie die Gebrüder Grimm nicht besser hätten erfinden können: die böse Hexe (Tonya Harding) und das arme unschuldige Opfer (nicht Hänsel oder Gretel, sondern Nancy Kerrigan). Sie hat alles, was sie zur Märtyrerin ohne Martyrium prädestiniert: Sie ist schön, sie ist eine echte Prinzessin – nicht auf der Erbse, aber auf dem Eis – und man(n) wollte ihr Böses – mit einer Eisenstange aus der Entourage der Rivalin. Drahtzieher des perfiden Knie-Anschlages zur Beseitigung der lästigen Konkurrentin war Tonya Hardings Ex-Ehemann Jeff Gillooly, der deswegen bereits verurteilt ist und Stein und Bein schwört, daß seine ehemalige Angetraute von dem Plan gewußt habe. Bisher gibt es jedoch keine Anklage gegen Harding.
Ein Stoff, wie ihn das Hollywood-Kino hätte nicht besser schreiben können. Titel: Die Schöne und das Biest. Da in den schlechten Filmen die Guten gewinnen, schlägt sich auch im richtigen Leben alles auf die Seite von Nancy Kerrigan. The winner takes it all. So auch die geschätzte Aufmerksamkeit. Samstag, 12 Uhr, Hauptpressezentrum in Lillehammer: Pressekonferenz mit Nancy Kerrigan. Konferenz ist kein Ausdruck – die Königin hielt hof. Am Eingang keilen sich Photographen 30 Minuten vor dem großen Auftritt um die Plätze in der ersten Reihe. Dann kommt sie. Nur, keiner sieht sie. Bodyguards und Kameraleute schirmen die Olympiadritte von Albertville perfekt von den aufdringlichen Blicken der Welt ab. Tssrr. Einem Bienenschwarm in Alarmbereitschaft gleich, schwirren Königin und Drohnen – von wegen, in den Saal der 800 lauernden Journalisten und Hunderte von Teleobjektiven, der 40 Kamerateams – nein, ab durch den Notausgang, in einen Seiteneingang und flugs aufs Podium. Cheese.
Im Training inspirierte Tina Turners „Simply the best“ die WM-Fünfte zu fünf perfekten Dreifachsprüngen. Wen ein Hauch von Mythos umweht, der muß nicht auch noch verbal beeindrucken können. Das Antwortrepertoire der 24jährigen aus Massachusetts beschränkte sich auf subtile Abweichungen zwischen einem „Oh, es ist großartig, hier zu sein“, oder emphatischer, „es ist so aufregend“, oder forsch, „ich fühle mich gut“, manchmal witzig, „es ist so komisch“, oder philosophisch: „meine Familie ist eigentlich immer dabei, seit ich geboren bin“. Die Wettkampfstätte in Hamar ist – na, was wohl? – „super“ – die Leute? – „reizend“ – die Sportler? – „nett“. Na eben, bis auf eine. Wir wissen schon. Das Biest. Welches noch nicht in persona in Norwegen weilt. Die Prinzessin hat es vorgezogen, ihr Domizil nicht im Olympischen Dorf zu beziehen, aus Angst, der Inkarnation des Bösen leibhaftig auf dem Korridor begegnen zu müssen. Auf dem glatten Eis ist Ausweichen schwieriger. Ein Antrag ihres Trainers auf gesonderte Trainingszeiten wurde abgelehnt.
Tonya Harding hat sich der Presse entzogen. „No comment“ prangt auf ihrem Sweatshirt. Einen Kommentar hätte sie bei einer Anhörung des Olympischen Komitees der USA (USOC) abgeben sollen. Doch die wurde gestern morgen auf einen Termin nach den Spielen verschoben. Das Biest bekam das Startrecht. Weil sich ihre Anwälte bereit erklärten, im Tauschgeschäft die Schadenersatzklage über 25 Millionen US-Dollar zurückzuziehen. Hollywood hat seinen Preis.
Was auf dem Eis passiert, ist zweitrangig. Ebenso wie die Substanz besagter Pressekonferenz, die, nach Auskunft eines Washingtoner Journalisten, US-Präsident Clinton durchaus zur Ehre gereicht hätte und Katarina Witts Rekord von Calgary (500 Journalisten) bei weitem übertraf. Die Tapfere, die Attacken aus Eisen oder per Kamera so heldenhaft erträgt, reagierte nur „really shocked“, auf eine Frage: Ob sie mit einem Preisrichter-Bonus rechne? Was ihrem unschuldigen Köpfchen noch nie in den Sinn gekommen sei. Bei einer sanften Anspielung auf ihre ökonomischen Vorteile durch das „Schicksal“, gesteht sie, was fürwahr nur Prinzessinnen sagen können: „Darüber mache ich mir gar keine Gedanken.“
Muß sie auch nicht. Das erledigt netterweise der amerikanische TV-Sender CBS, der sich die Rechte für die Übertragung der Winterspiele für 520 Millionen Mark erkauft hat. Aber auch der Unterhaltungskonzern Disney denkt an die „all American woman“ Kerrigan. Für 500.000 US-Dollar hat er den Film zum Detroiter Attentat gekauft. Jener soll kurz nach Ende der Spiele ausgestrahlt werden: bei CBS-Konkurrent ABC. CBS kommt aber nicht zu kurz. Bereits sechs Wochen vor Beginn der Spiele war Lillehammer in aller US-Munde. Jeder Huster der Dame, die den anderen „tollen Athleten die Aufmerksamkeit nicht wegnehmen“ möchte, wird über den Teich gesendet. Nur schade, daß Nancy Kerrigan das US-Banner bei der Eröffnungsfeier nicht tragen konnte. Aber wir verstehen, das teuerste Knie der Welt mußte für nächste Woche geschont werden. Cornelia Heim
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