: Der neue türkische Staatschef
■ Der 73jährige Sozialdemokrat Bülent Ecevit gehört zu den Politikdinosauriern. Nach zwanzig Jahren wird er erneut Ministerpräsident
Bülent Ecevit übernimmt nach zwanzig Jahren wieder das höchste Regierungsamt der Türkei. Zweimal schon war der heute 73jährige Politiker mit diesem Amt betraut worden. Zuletzt mußte der Sozialdemokrat Ende 1979 diesen Posten räumen.
Der 73jährige Vorsitzende der Partei der Demokratischen Linken (DSP) ist ein Veteran der türkischen Politik. Während seiner Amtszeit von Januar bis September 1974 gab der Sozialdemokrat den türkischen Truppen den Befehl zum Einmarsch in Nordzypern. In der Türkei erwarb Ecevit dadurch zwar große Popularität, doch in den Augen der Weltöffentlichkeit stand sein Land als Aggressor da. Bis heute gilt der Altpolitiker Ecevit mit seiner Affinität zum Nationalismus in der Zypern-Frage als kompromißlos. Auch die Autonomiebestrebungen der Kurden lehnt Ecevit ab.
In seiner Jugend interessierte sich der Sohn eines Medizinprofessors und einer in der Türkei bekannten Zeichnerin und Kunstlehrerin mehr für Kultur als für Politik. Er studierte englische Literatur in Ankara und später Kunstgeschichte in London. Mit einem Stipendium der Rockefeller Foundation studierte Ecevit dann noch einmal an der US-Eliteuniversität Harvard.
Mit 25 Jahren trat Ecevit der von Republikgründer Mustafa Kemal (Atatürk) ins Leben gerufenen Republikanischen Volkspartei (CHP) bei. 1961 übernahm Ecevit dann als Arbeitsminister seinen ersten Regierungsposten.
Danach wurde er Generalsekretär der CHP und, nachdem er sich – von Altkemalisten als „Sozialromantiker“ gescholten – durchgesetzt hatte, Parteichef. Der CHP verordnete er einen Kurs „links von der Mitte“. Eine Annäherung der Türkei an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft lehnte er ab. Begründung: Die Gemeinschaft sei ein Instrument kapitalistischer Ausbeutung. Mit dieser Linie machte sich Ecevit bei den mächtigen Generälen des Landes unbeliebt.
Nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 stand Ecevit viele Male vor Militärgerichten, landete für mehrere Monate in Gefängnissen und wurde mit einem politischen Betätigungsverbot belegt. Dieses wurde erst 1987 nach einem Referendum aufgehoben.
Trotz Politikverbots initiierte Ecevit 1985 die Partei der Demokratischen Linken (DSP), deren Vorsitz zunächst von seiner Frau Rahsan Ecevit übernommen wurde. Anfang der 90er Jahre wurde Bülent Ecevit dann erneut ins Parlament gewählt. Bei den Wahlen 1995 übersprang dann seine Partei überraschend die Zehnprozenthürde.
Zuletzt war Ecevit stellvertretender Ministerpräsident unter Mesut Yilmaz, dem Vorsitzenden der Mutterlandspartei. Dessen Regierung war im November 1998 durch ein Mißtrauensvotum gestürzt worden. Ecevit hat jetzt seine Nachfolge übernommen. Doch voraussichtlich wird der Politiker auch diesmal diesen Posten nicht lange besetzen. Denn: schon für den April sind Neuwahlen angesetzt. Ob der Politdinosaurier, der schon einmal verkündete, sich nicht mehr politisch zu betätigen, sich dann auf das Altenteil zurückziehen wird, ist noch fraglich. taud/wlf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen