: Der letzte Vorhang fällt
Kroatiens alternde Stars können beim 0:1 gegen Mexiko nicht einmal den Hauch jener Klasse verbreiten, die sie bei der WM 1998 auf Platz drei brachte, und sind akut vom frühen Aus bedroht
aus Niigata FRANK KETTERER
Sie wollten es nicht zugeben, jedenfalls nicht so bald nach der Niederlage und schon gar nicht so in aller Öffentlichkeit. Stattdessen packten sie es gut ein in Sätze, wie Fußballer sie bisweilen sagen, wenn sie nur an der Oberfläche kratzen wollen, um der Sache ja nicht auf den Grund gehen zu müssen. „Wir haben schlecht gespielt und verdient verloren“, merkte zum Beispiel Zvonimir Soldo an. „Wir haben als Mannschaft nicht kompakt gestanden“, fügte Robert Kovac hinzu. „Wir waren nicht nahe genug am Gegner“, wusste nochmals Soldo. „Das spielerische und läuferische Element hat total gefehlt“, schloss schließlich wiederum Kovac, nicht ohne all die Floskeln zu einem wenig ermutigenden Ausblick zusammenzufassen: „Wenn man so spielt, kann man bei einer WM nicht bestehen.“ So wie Kroatien bei der 0:1-Niederlage gegen Mexiko in der Auftaktpartie der Gruppe G, hat er damit gemeint.
Das sind natürlich alles traurige Sätze, daran kann es keinen Zweifel geben. Und doch verdecken sie die noch viel traurigere Wahrheit, die diesen traurigen Sätzen zugrunde liegt und die da heißt: Die große Zeit des kroatischen Fußballs ist zunächst einmal vorbei. Und an diesem sonnigen Montagnachmittag im Big Swan Stadium zu Niigata konnte die ganze Welt das sehen – und am Ende sogar schwarz auf weiß ablesen in der Statistik zum Spiel: 46. Minute – Auswechslung Robert Prosinecki, 63. Minute – Auswechslung Davor Suker, 66. Minute – Auswechslung Alen Boksic.
Die drei waren vor vier Jahren, bei der WM in Frankreich, die großen Helden ihres Landes, Dritter wurde Kroatien damals, mit feinem Kombinationsfußball, der der Mannschaft den Ruf eintrug, die „Brasilianer Europas“ zu sein. Diesmal, vier Jahre später, sind die Helden allesamt „nicht ganz fit“, wie Trainer Mirko Jozic anmerkte. Er hätte auch sagen können: Nun sind sie zu alt. 34 ist Suker, nur unwesentlich jünger Boksic und Prosinecki. Und wenn man das Spiel vom Montag als Maßstab ansetzt, ist ihre Ära, zumindest auf internationalem Rasen, einfach vorbei. Und auch das konnte man im Big Swan von Niigata deutlich sehen: Prosinecki, der genial veranlagte Mittelfeld-Dirigent, bekam das Spiel seiner Kombo zu keinem Zeitpunkt unter Kontrolle und musste sich von Mexikos Gerardo Torrado die Schau stehlen lassen; Boksic gewann im Sturm kaum einen Zweikampf, was auch damit zu tun haben dürfte, dass er schon mal flotter zu Fuß war; und bei Suker flackert das einstmals übergroße Können nur noch auf Sparflamme, selbst beim TSV 1860 München ist der 34-Jährige ja kein großes Licht. Diese WM sollte für die drei der letzte große Auftritt auf großer Bühne werden, nun könnte es der letzte Vorhang zu einem allzu kurzen Dreiakter werden anstatt zur wunderbaren Abschiedsgala mit lang anhaltendem Schlussapplaus. Als nächster Gegner wartet am Samstag Italien, bei einer Niederlage wäre das dritte Gruppenspiel gegen Ecuador kaum noch mehr als Staffage.
Besonders schmerzen dürfte es Suker und Altersgenossen, dass der Anfang von ihrem Ende trotz aller spielerischen Demenz nicht zwangsläufig schon an diesem Montag in Niigata hätte kommen müssen. „Die haben doch nur klein-klein gespielt. Die waren doch gar nicht gefährlich“, beurteilte Zvonimir Soldo das Spiel des Gegners, was das eigene Wirken auch nicht besser machte, aber diesmal eben doch der Wahrheit entsprach. Lediglich Torrado als emsiger Spielmacher sowie Kapitän Rafael Marquez als Abwehrchef und Torhüter Oscar Perez genügten auf ihren Positionen dem, was man internationalen Anspruch nennt, der Rest betrieb zwar einiges an Aufwand, der aber hätte, zumal zumindest die Defensive der Kroaten um den Berliner Josip Simunic ein gewisses Maß an Einsatz und Ordnung erkennen ließ, leicht ohne Ertrag bleiben können.
Und keiner hätte das dann besser verkörpert als Cuauhtemoc Blanco, der Star der Mexikaner, der während so einer Partie viel und aufreizend hin- und herrennt, viel und wild gestikuliert, dabei kaum einmal wirklich effektiv ist. Das Spiel hat Blanco dennoch entschieden, per Elfmeter nach 63 Minuten, von ihm provoziert, von ihm verwandelt.
Was sich denn geändert habe zwischen dem Damals in Frankreich und dem Jetzt in Asien, hat ein Reporter Zvonimir Soldo zum Abschluss dann nochmals gefragt. Und Soldo, sonst beim VfB Stuttgart in Diensten, hat geantwortet: „Damals haben wir eine besondere Generation gehabt.“ Dass er in der Vergangenheitsform sprach, war ganz bestimmt kein Zufall.
Kroatien: Pletikosa - Zivkovic, Robert Kovac, Simunic, Jarni - Soldo, Tomas, Niko Kovac, Prosinecki (46. Rapaic) - Suker (64. Saric), Boksic (67. Stanic) Mexiko: Perez - Vidrio, Marquez, Carmona - Caballero, Marcado, Torrado, Morales, Luna - Blanco (78. Palencia), Borgetti (68. Hernandez) Zuschauer: 37.000, Tor: 0:1 Blanco (61./Foulelfmeter)Rote Karte: Zivkovic (60./Notbremse)
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