: Der lange Abschied des Mengistu Haile Mariam
Bedrängt von den Rebellen ergriff Äthiopiens Diktator nach 14 Jahren Herrschaft die Flucht/ Seine Hinterlassenschaft: Ein ausgeblutetes Land ■ Von Uwe Hoering
Köln (taz) — Die Ära Mengistus endete mit einem Überraschungscoup. Seit Jahren standen die Wetten für ihn schlecht. Doch mit einem kampflosen Abgang des äthiopischen Diktators hatte niemand gerechnet. Statt dessen wurde ein blutiger Showdown wie in Somalia befürchtet, wo Präsident Barre im Januar erst flüchtete, als bereits die Regierungsgebäude im Zentrum Mogadischus umkämpft wurden.
Mengistu stand mit dem Rücken zur Wand. Verloren hatte er weitgehend die Unterstützung der Militärs, die 1974 das marode Feudalregime Kaiser Haile Selassies stürzten und die neue sozialrevolutionäre Regierung in den Sattel hoben, zu deren mächtigstem Mann sich Mengistu schnell hocharbeitete. Die Armee ist durch schwere Niederlagen demoralisiert, der Putschversuch führender Offiziere Mitte Mai 1989 läutete für Mengistu die Endrunde ein.
Verloren hatte Mengistu auch die militärische Unterstützung der sozialistischen Länder. Sie waren in die Bresche gesprungen, als der Westen, insbesondere die Vereinigten Staaten, die in Äthiopien wichtige Militärstützpunkte hatten, die sozialistische Regierung in den siebziger Jahren boykottierte. Doch mit dem Ende des Kalten Krieges drängten sie offen auf eine politische Lösung und reduzierten ihre Waffenlieferungen drastisch, Kubas Soldaten zogen ab. Die neuen Freunde der inzwischen gewendeten Marxisten in Addis Abeba, die Israelis, vermochten mit ihren Waffenlieferungen und ihren Beratern das Blatt auch nicht mehr zu wenden.
Verloren hatte die Regierung schließlich die Herrschaft über große Teile des Landes. Die Nordostprovinz Eritrea wird weitgehend von der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF) kontrolliert, mit der Eroberung der eritreischen Hafenstadt Massawa im Februar vergangenen Jahres wurden die Regierungstruppen eingekesselt und nach Asmara, Hauptstadt Eritreas, zurückgedrängt. Ihrem Ziel eines unabhängigen Eritrea war die EPLF damit militärisch einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Nun droht sie, die Lebensader der Hauptstadt, die Verbindung zum Hafen Assab am Roten Meer, abzuschneiden.
Seit dreißig Jahren wird in Eritrea gekämpft. In diesem längsten Krieg Afrikas, entfacht durch die Annexion Eritreas durch Kaiser Haile Selassie, sind schätzungsweise eine Million Menschen durch Kampfhandlungen und Hunger gestorben, Hunderttausende wurden zu Flüchtlingen. Dreißig Jahre Krieg um das Recht auf Selbstbestimmung: die EPLF verlangt eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Eritreas — ein Präzedenzfall für Afrika.
Die Regierung in Addis Abeba rechtfertigte dagegen ihren unnachgiebigen Feldzug, der in den letzten Jahren zwei Drittel des Staatshaushaltes verschlang, mit der Einheit des Landes. Doch der Status quo, den sie mit Zähnen und Klauen verteidigt, bedeutet auch die Vorherrschaft der kleinen Volksgruppe der Amharen.
Gegen diese kämpft seit Mitte der siebziger Jahre die Befreiungsfront Tigrays, die TPLF. Durch den Zusammenschluß mit kleineren Oppositionsgruppen zur Äthiopischen Volksrevolutionären Demokratischen Front (EPRDF) meldete sie ihren Anspruch auf gewichtige Mitsprache bei jeder politischen Alternative an. In den vergangenen zwei Jahren vertrieb sie die Armee aus ganz Tigray, aus großen Teilen der Provinzen Wollo, Gondar und Gojjam, der Kornkammer des Landes, und rückte sogar in Shoa, der Zentralprovinz mit der Hauptstadt Addis Abeba, ein. Auch die dritte Oppositionsbewegung, der Befreiungsfront der Oromo (OLF), verbuchte immer mehr Geländegewinne.
Friedensgespräche mit TPLF und EPLF brachten keine greifbaren Ergebnisse. Beide Seiten mauerten, spielten auf Zeit und damit auch mit dem Leben von Hunderttausenden, die in Eritrea und Tigray von Dürre und Hunger bedroht sind.
Wofür stand er, der äthiopische Sozialismus? Vor allem für die Landreform und die Enteignung feudaler Großgrundbesitzer. Die Regierung machte allerdings den Erfolg durch ihre Schröpfung der Bauern gleich wieder zunichte. Und durch ihre Umsiedlungs- und Verdorfungsprogramme, die zwar Sinn machten, doch durch Zwang und Fehlplanungen Widerstand hervorriefen. Statt der versprochenen „nachholenden Entwicklung“ und einer Lösung der vom Kaiserreich geerbten Nationalitätenkonflikte hinterläßt Mengistu ein Land in Scherben, einen gordischen Knoten von Konflikten.
Um sich im Sattel zu halten, machte Mengistu in den vergangenen Jahren ein Zugeständnis nach dem anderen — wirtschaftliche Liberalisierung, die Abkehr vom Marxismus-Leninismus, Umarmungsangebote an die Opposition. Vor wenigen Wochen empfahl die Nationalversammlung, der Shengo — formal das höchste Volksorgan, praktisch meist durch Mengistus einsame Entscheidungen entmachtet —, die Bildung einer Übergangsregierung aus allen Gruppen, „die für die Einheit des Landes eintreten“. Eritrea bot die Regierung eine „weitgehende Autonomie“ an.
Die Wende zielte vor allem darauf, die wirtschaftliche und politische Hilfe des Westens zu sichern. Bekenntnisse zu Demokratie und Marktwirtschaft zahlen sich aus, so hoffte man in Addis Abeba wie überall in Afrika — nicht ganz vergebens. International war die Regierung dabei, aus ihrer Isolation auszubrechen, zumal sie sich im Golfkrieg auf die Seite der Anti-Saddam- Koalition stellte und sich gleichzeitig, mit Blick auf den Nachbarn Sudan, als christlicher Garant gegen einen Vormarsch islamisch-fundamentalistischer Regimes in Afrika empfahl. Gleichzeitig wurden für den Krieg die letzten Reserven mobilisiert, Jugendliche zwangsrekrutiert, Sozialausgaben zusammengestrichen. Nationalistische Propaganda-Kampagnen warnten vor dem Zerfall des Vielvölkerreichs und schürten die alte Feindschaft der Amharen gegen die Tigray — Mengistus letzte Trumpfkarte.
Wann stürzt Mengistu? Die Frage lag angesichts dieser Lage seit zwei Jahren in der Luft. Aber wer sollte ihn stürzen, nachdem der Putsch gescheitert war? Jegliche Opposition wurde in den vergangenen Jahren DDR-geschult zum Schweigen gebracht oder ins Exil getrieben. Da war es schon überraschend, daß im April 240 Professoren den Staatschef offen aufforderten, Platz zu machen für eine Übergangsregierung, die die Befreiungsbewegungen für Verhandlungen akzeptieren würden.
Auch die TPLF und die EPRDF sind keine attraktive Alternative. Trotz Dementis klebt ihnen der Ruf des Stalinismus an, man hört von Fraktionskämpfen. Und in Addis Abeba grassiert die Angst, ihr weiterer Vormarsch — schon stehen sie 50 Kilometer vor der Hauptstadt — könnte das Schreckbild eines zweiten Mogadischu doch noch Wirklichkeit werden lassen.
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