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Der kleine Tod mit dem Tod

■ Hingebungsvoll das Leben mit den Leichen teilen: Kissed von der Kanadierin Lynne Stopkewich

Wenn französische Philosophen große Dinge über die Liebe niederschreiben, spricht es sich schnell rum in den okkulten Denkzirkeln des Abendlandes. Als George Bataille im Jahr 1961 sein Buch „Die Tränen des Eros“veröffentlichte, hörte man sie aufatmen, all die verkopften Theoretiker, die sich endlich ihre Legitimation einholten, über Liebe, Leid, Tod und Erotik öffentlich nachzudenken. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß Batailles Idee, einen Zusammenhang zwischen Tod und Eros herzustellen, salonfähig wurde. Schließlich haben laut Bataille Tod und Erotik einen gemeinsamen Erlebniswert, und somit bezeichnet er den sexuellen Höhepunkt liebevoll als den „kleinen Tod“.

Die kanadische Filmregisseurin Lynne Stopkewich wagt es, in ihrem Film Kissed noch einen Schritt weiter zu gehen. Sie macht die intime Begegnung der jungen Sandra Larson (Molly Parker) mit dem Tod sichtbar. Ein kurzer Ausflug in Sandras Kindheit läßt schon zu Beginn des Films in die unschuldige Seele blicken und offenbart die eigensinnige Affinität zu toten Leibern. Anders als ihre Freundin erlebt sie beim kindlichen Begräbnisritual etwas Einzigartiges, Transzendentales. Nicht die Bestattungszeremonie ist es, worauf es ankommt, sondern der sinnliche Kontakt zu dem, was nicht mehr von dieser Welt ist, läßt sie leise erzittern.

Im Laufe der Jahre wird ihr bewußt, daß sie anders ist als die andern. Eine stille Einzelgängerin, die nur ein Ziel hat: ihr Leben mit dem Tod zu teilen. Klar, daß sie nur einen Beruf wählen kann, der ihre Leidenschaft befriedigen wird. Sandra wird Einbalsamiererin in einem Bestattungsinstitut.

Unterwegs mit dem Leichenwagen, genießt sie die Fahrt durch eine Autowaschanlage und nutzt einen unbeobachteten Moment, heimlich den Sarg zu öffnen und sich den ersten Kuß eines wächsernen, lieblich hergerichteten Mannes zu stehlen, der etwas zu früh das irdische Leben verlassen mußte. Die immer größer werdende Sucht zwingt sie, durch das nächtliche Dorf zu hetzen und ins Bestattungsinstitut einzubrechen, um endlich das zu finden, wonach sie sich sehnt.

Im schmeichelnden, sakralen Licht liegen die Objekte ihrer Begierde, aufgebahrt auf rotem Samt, mit dem künstlich modellierten Lächeln auf den Lippen, unschuldig darauf wartend, vom feierlichen Anzug umhüllt zu werden, der das endgültige Abschiedsritual einleiten soll. Vorsichtig nähert sie sich der Bahre, streicht zärtlich über den leblosen Leib, riecht, küßt, liebt, bis sie das weiße, gleißende Licht erfährt, ihren kleinen geheimen Kick, die Grenze zu überschreiten zwischen Leben und Tod.

Die verregneten Nachmittage verbringt sie in Cafés mit reichlich Lektüre über Nekrophilie, womit sie aber eigentlich so recht nichts anfangen kann. Eines Tages lernt sie Matt (Peter Outerbridge), einen Medizinstudenten, kennen, dem sie von ihren geheimen Wünschen erzählt. Zum ersten Mal empfindet sie Zuneigung zu einem Wesen, dem noch warmes Blut durch die Adern fließt. Doch alle Versuche, Matt zu lieben, scheitern kläglich, trotz seines unermüdlichen Einfallsreichtums, begehrenswert für Sandra zu sein. Am Ende gelingt es ihm schließlich doch, ihre Liebe zu erfahren, durch eine äußerst ungewöhnliche Handlung, die ihr die intensivste Erfahrung ihres Lebens schenkt.

Kissed ist kein Film über nekrophile Liebe, sondern eine Geschichte über ein verheißungsvolles Leben nach dem Tod. Denn wer wünscht sich nicht, noch auf dem Totenbett so hingebungsvoll von einem warmen Menschen geliebt zu werden. Claude Jansen

Neues Broadway, Studio

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