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Der erste Kontakt

Auf einer Messe beschnuppern sich freie Kita-Träger und Erzieherinnen aus dem öffentlichen Dienst. Letztere bleiben misstrauisch – sie fürchten die Unsicherheiten der freien Marktwirtschaft

von ULRICH SCHULTE

Auf dieser Kontaktbörse geht es wenig schüchtern zu. Zumindest auf dem Papier ist die Kita-Träger-Messe im Rathaus Wedding schon nach zwei Stunden ein Erfolg – wenn es nach den gelben Zetteln von Marie Wätke ginge. Dutzende Nummern stehen dort, interessierte Kindertagesstätten wollen mehr Informationen. Eine Mitarbeiterin bastelt mit Filzstift und Lineal Ersatz, während Wätke, Leiterin des Kita-Bereichs beim Humanistischen Verband Berlin, geduldig immer die gleichen Fragen beantwortet: Ja, der Haustarif orientiere sich am Bundesangestelltentarif. Sicher, die Arbeitsjahre würden voll anerkannt. Selbstverständlich, auch die Urlaubsregelung gleiche der im öffentlichen Dienst. „Die Erzieherinnen haben große Befürchtungen in allen arbeitsrechtlichen Fragen“, so ihr Fazit.

Der Humanistische Landesverband Berlin hat bereits sechs städtische Kitas von den Bezirksämtern übernommen. Und Marie Wätke sagt – schließlich ist es eine Werbemesse: „Alle Seiten haben davon profitiert.“ Die Leiterin und die Erzieherinnen in den nunmehr humanistisch orientierten Einrichtungen entscheiden selbstständig über Finanzen, Neueinstellungen und pädagogische Konzepte. „Bei uns brauchen sie keinen dreifachen Antrag für jeden Kubikmeter Spielsand.“ Die Folgen sind laut Wätke nur erfreulich: Mehr Engagement, mehr Identifikation mit der eigenen Kita.

Ein weiterer Anbieter vor einer Stellwand mit bunten Fotos ist der Verein „Forum Soziale Dienste“. Geschäftsführerin Beate Bartner kümmert sich bereits um 11 Kitas und wirbt für ihre schlanke, flexible Verwaltung sowie kurze Entscheidungswege. „Wir können auch kurzfristig mal einen Platz zur Verfügung stellen.“ Auch für die Eltern ändert sich wenig bei einer Übernahme. Sie zahlen den gleichen Satz wie früher. Nur dass das Geld schnell und ohne den Umweg durch undurchsichtige Kanäle der Bürokratie in jede Kita fließt.

Auf beiden Seiten war das Interesse groß. 800 BesucherInnen, hauptsächlich Erzieherinnen, informierten sich bei fast 30 möglichen Trägern. Doch es blieb beim vorsichtigen Kennenlernen, für wasserdichte Vereinbarungen ist es zu früh. Bisher fehlen Antworten auf die wichtigsten Fragen. Ein Beispiel: Die Gebäude vieler Kitas sind marode oder zumindest renovierungsbedürftig. Durch Dächer tropft Regenwasser, die Heizung ist veraltet, im Keller wuchert Schimmel. „Die Kitas waren eben häufig die Sparkassen des Bezirks“, sagt Beate Bartner. „Sanierungskosten müssen bei einer Übernahme vernünftig aufgeteilt werden.“ Die Bezirke müssen also beträchtliche Summen für Instandsetzung einplanen, wenn sie nicht auf den älteren Kita-Mauerblümchen sitzen bleiben wollen. „Das muss man im Einzelfall verhandeln“, sagt Jens-Peter Heuer, Jugend- und Finanzstadtrat des Bezirks Mitte. Grundsätzlich gelte: „Wir übergeben betriebsbereite Kitas und werden sie nicht noch extra herausputzen.“ Sein Bezirk setzt darauf, dass sich die öffentlichen Kitas selbstständig nach privaten Trägern umschauen. Bis Ende 2006 will der Bezirk Mitte 20 Kitas in die Freiheit entlassen. In der Koalitionsvereinbarung von Rot-Rot ist für ganz Berlin die Zielvorgabe: 426 von 852, also genau die Hälfte der kommunalen Einrichtungen sollen privatisiert werden.

Nebenan im Pausenraum der Messe, fern der schönen, freien Kita-Welt, sitzen Teams aus dem öffentlichen Dienst und bestätigen sich gegenseitig in ihren Befürchtungen. „Die kochen auch bloß mit Wasser. Woher sollen die Geld haben, wenn sonst keiner Geld hat?“, fragt eine – noch vom Bezirk bezahlte – Erzieherin. Ihre Kollegin meint: „Im öffentlichen Dienst bin ich unkündbar und weiß, welche Leistungen ich bekomme. Die Freien können mir nichts garantieren.“ Diese Ängste kann ihnen auch der Bezirk nicht nehmen. „Letztlich müssen das die Träger selbst schaffen“, so Heuer. Die Träger-Messe war ein erster Versuch.

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