: Der deutsche Fußball heißt Oliver Bierhoff
Beim 2:1-Sieg in der Europameisterschafts-Qualifikation gegen die mediokren Finnen erweist sich, dass DFB-Teamchef Erich Ribbeck getreulich in den Spuren seines Vorgängers Berti Vogts wandelt ■ Von Matti Lieske
Berlin (taz) – In der 75. Minute des EM-Qualifikationsspiels gegen Finnland ließ Lothar Matthäus den Blick weit über den Rasen des Olympiastadions von Helsinki schweifen. Der 38jährige war gerade mit dem Ball in die gegnerische Hälfte vorgedrungen und schickte sich an, einen seiner gepriesenen langen Pässe auf den Weg zu bringen. Schließlich fand er eine Anspielstation. In hohem Bogen flog die Kugel 40 Meter weit zu Jens Lehmann, dem eigenen Torwart. Eine Szene, symptomatisch für die Verfassung, in der sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft befand, nachdem der Finne Salli in der 62. Minute den Anschlusstreffer zum 1:2 erzielt hatte. Weitgehend in der Defensive, sich verzweifelt an den kargen Vorsprung klammernd, nur noch bestrebt, diesen über die Zeit zu bringen. Was auch gelang.
„Wir haben das dritte Tor nicht gemacht“, verriet Teamchef Erich Ribbeck anschließend, „deshalb können wir froh sein, dass wir gewonnen haben.“ Die Tatsache, dass gegen eine mediokre Mannschaft wie die der Finnen ein 3:0-Vorsprung notwendig ist, um ohne Zittern über die Runden zu kommen, zeigt, dass es mit dem Fortschritt seit dem fatalen Confederations Cup in Mexiko nicht so weit her ist, wie nun allseits behauptet wird. Auch da hieß es beim Spiel gegen Brasilien, dass eine Stunde lang eigentlich alles gut lief und erst dann der Zusammenbruch mit dem deprimierenden 0:4 am Ende erfolgte.
Der Unterschied am Samstag war, dass die Finnen zwar groß, kopfballstark und kräftig sind, sie aber, was die Torgefährlichkeit betrifft, im Vergleich zu den Brasilianern so bissig wirken wie eine Herde lappländischer Meerschweinchen gegen einem Schwarm Piranhas aus dem Amazonasbecken. Den anderen Unterschied lieferte Oliver Bierhoff, der in der ersten Halbzeit zwei halbe Torchancen in jenen raschen 2:0-Vorsprung verwandelte, der letztlich zum Wichtigsten reichte, was an diesem Abend auf dem Spiel stand: Drei Punkte, die den 3:0-Sieg der Türken in Nordirland egalisierten und die Bühne für das Endspiel der Gruppe 3 am 9. Oktober in München gegen die Türkei bereiteten. Nur im Idealfall, wenn am Mittwoch in Dortmund die Nordiren bezwungen werden und die Türkei in Moldawien verliert, genügt dann auch ein Unentschieden zur Qualifikation.
„Mit der Einstellung von heute werden wir die Türkei besiegen“, ist Oliver Bierhoff sicher. Der 31-Jährige hat, wie er berichtet, ein Buch mit dem Titel „Unlimited Power“ gelesen und daraus gelernt, „dass die größten Erfolge nach Frustrationen kommen“. Am Samstag im mit 20.184 Zuschauern nur etwa halbgefüllten Olympiastadion lag es im Wesentlichen an der Treffsicherheit des Stürmers vom AC Mailand, dass Erich Ribbeck und seinen Mannen verschärfte Frustrationen erspart blieben. Zwar gab es, vor allem in der ersten Halbzeit, einige ansprechende Spielzüge, Christian Ziege bewies, dass er in Topform die beste Lösung auf der linken Seite ist, der flinke Oliver Neuville tat gleiches auf rechts, doch von echter Dominanz konnte keine Rede sein.
Diese manifestiert sich im Fußball von heute nicht an langem Ballbesitz oder einigen hübschen Kombinationen, sondern an der Zahl gewonnener Zweikämpfe im Mittelfeld, der Fähigkeit, bei Ballgewinn blitzschnell von Abwehr auf Angriff umschalten zu können, und an Stürmern, die nicht viele Chancen brauchen, um erfolgreich zu sein. Das DFB-Team hat nur Letzteres. Von Anfang an gelang es den Finnen fast bei jedem ihrer Angriffe, sich durch das Mittelfeld zu kombinieren, die deutsche Abwehr in Bedrängnis zu bringen und teilweise gravierende Fehler zu provozieren. „Mit den langen, hohen Bällen in den Strafraum haben uns die Finnen ihr Spiel aufgezwungen“, beklagte Ribbeck. Doch das Problem lag vor allem darin, dass die hohen Bälle oft aus Flügelpositionen im Rücken der Abwehr kamen, was sie besonders gefährlich machte.
Am Ende wurde jegliche Ordnung und Kreativität im deutschen Team geopfert, die Devise hieß nur noch, retten, was zu retten ist. Für Neuville kam Strunz, für Scholl kam Nerlinger, und Matthäus beorderte sogar Bierhoff nach hinten, auf dass dieser den finnischen Kopfball-Recken Paroli biete. „Das hat sogar Spaß gemacht“, wunderte sich der Stürmer.
Nicht genug damit, dass Erich Ribbeck in puncto Durchschnittsalter – nur vier Finnen waren älter als der jüngste Deutsche, Jens Jeremies (25) – und Matthäus-Gläubigkeit seinem Vorgänger nacheifert, die Sache könnte sogar auf eine Steigerung alter Berti-Strategien hinauslaufen. Hinten dicht, vorn hilft Bierhoff, hieß die Vogts-Devise bei der WM 1998. Jetzt muss Bierhoff den hinteren Part auch noch übernehmen.
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