■ Der des Dopings bezichtigte Leichtathletik-Olympiasieger Dieter Baumann über seinen Versuch, mittels einer schlüssigen Indizienkette seine Unschuld nachzuweisen – und über Sportfunktionäre, die den dafür wichtigen Zeugen Professor Schänzer für befangen erklärt haben:: „Ich kriege keinen fairen Prozess “
Herr Baumann, Ihr Fahrrad steht vor dem Café, aber Sie haben es nicht abgeschlossen. Glauben Sie etwa an das Gute im Menschen?
Ach, wissen Sie: Auf das Fahrrad kommt’s auch nicht mehr an.
Warum so skeptisch? Ihre Geschichte ist noch nicht zu Ende.
Richtig. Sie ist nicht zu Ende. Aber sie ist schon schlecht ausgegangen.
Inwiefern?
Das, was man mit dem Anschlag erreichen wollte, denke ich, ist geglückt.
Nämlich?
Das Ganze in den Dreck zu ziehen, mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Das hat man erreicht. Das ist irreparabel. Ob das sportlich ist, wirtschaftlich oder was meine berufliche Perspektiven betrifft. Und mich beschuldigt man, es selber gemacht zu haben. Das ist ein perfektes Verbrechen.
Was tun Sie jetzt?
Man muss unheimlich aktiv sein. Ich weiß genau: Irgendwo läuft einer rum, der lacht sich tot.
Nachdem er Sie mit einer Nandrolon-präparierten Zahnpasta reingelegt hat. Über die Witze dazu lacht halb Deutschland.
Mag sein. Aber diese Leute kennen die Fakten nicht. Ich war sehr froh über den Fund der Zahnpasta. Wenn du drei Wochen durchs Haus läufst, bist immer positiv, fragst du dich, ob du einen Knall hast. Jetzt kenne ich die Geschichte. Bis auf eins: Wer war’s?
Sie haben soeben 100.000 Mark Belohnung ausgesetzt zwecks Täterfindung.
Was soll ich tun? Warten, bis ich verurteilt bin? Ich tue, was ich kann.
Es gibt Leute in Ihrem Sportsystem, die regen sich schon auf, weil Sie Anzeige wegen Körperverletzung erstattet haben.
Wieso regen sich die auf? Da frage ich mich: Wo lebe ich eigentlich? Wo bekomm ich einen fairen Prozess? Im Sport nicht, das sehe ich jetzt.
Drohen Sie jetzt mit dem Gang vor ein ordentliches Gericht?
Ich verlasse das Verbandsverfahren nicht. Aber die Äußerungen der Funktionäre und auch ihr Vorgehen in dieser Woche deuten darauf hin, dass ich den fairen Prozess nicht kriege. Nicht im Sport. Da bin ich mit dem Fund im Urin vorverurteilt.
Das Dopingkontrollsystem verlangt vom Athleten den Unschuldsnachweis. Es lässt angeblich keine Einzelfallprüfung zu. Weil sonst jeder davonkäme.
Ich sage: Ich weiß, ich bin unschuldig. Ich werde eine Strafe nicht akzeptieren. Ich bin gestraft genug. Dafür, dass ich nichts getan habe, mutet man mir sehr viel zu.
Sie haben immer die Unschuldsnachweispflicht des Athleten propagiert.
Selbst wenn ich selber Fehler gemacht habe und Dinge falsch interpretiert und ausgelegt habe, kann ich nicht sagen: Ich mache sie weiter falsch. Ich sage: Solch ein Sytem hätte auf lange Sicht keinen Bestand. Wir müssen es besser machen.
Wie macht man es besser?
Das Beweisumkehrverfahren ist nirgendwo beschrieben in den Dopingrichtlinien. Da ist die Rede von hinreichendem Tatverdacht. Das kann man strafrechtlich durch eine Indizienkette durchbrechen. Der Sport hat das nie vorgesehen.
Wenn das DLV-Präsidium am 22. Januar dem Rechtsausschuss empfiehlt, Sie als Dopingsünder für zwei Jahre zu sperren ...
... wäre das für den Sport kein gutes Urteil. Ob eine Verurteilung mit allem, was im Moment passiert, einer rechtsstaatlichen Prüfung standhält, ist fraglich. Das ahnen viele.
DSB und DLV haben Professor Schänzer soeben als Dopingproben-Analytiker abgesetzt, wegen angeblicher Parteinahme zu Ihren Gunsten. Wie war das mit Schänzer?
Ich habe den Schänzer nie beauftragt. Schänzer hat die zweite Untersuchung, so sehe ich das, alleine gemacht. Er hat den DLV informiert. Das war ihm sehr wichtig. Der DLV hat mit mir gemeinsam beim ersten Mal Schänzer beauftragt, zu mir nach Hause zu kommen. Das ist Fakt.
DSB-Präsident Richthofen sagt, ein Athlet müsse eben selbst ein neutrales Labor beauftragen.
Auch daran haben wir gedacht. Nur: Wenn ich Geld bezahle, würde sofort jeder behaupten, man habe bestochen. Der Vorschlag von Richthofen taugt nichts.
Wer kann für den Beschuldigten forschen?
Selber kann ich’s leider nicht analysieren.Wenn wir schon mit Köln und Kreischa zwei Labors auf höchstem Niveau haben, warum darf ich mich nicht an diese Fachleute wenden?
Da sagt der DLV: Die können nicht be- und entlasten. Die sollen die Urinproben messen.
Das sind Wissenschaftler. Die forschen nach besseren Analysemöglichkeiten. Wenn da einer Zweifel hat, forscht er, ob er seine Zweifel widerlegen kann oder ob er sie bestätigt findet. Das hat Schänzer getan.
Ihre Skeptiker sagen auch, Sie hätten Schänzer bei dessen zweiter Hausdurchsuchung die präparierte Zahnpasta hingelegt.
Nein. Ich konnte gar nicht wissen, dass er ein zweites Mal kommt, dass er mich weiter kontrolliert. Ich hab mich einfach bemüht, die Quelle zu finden.
Wie?
Man schreibt auf, was man isst, wieviel, hat alles aufgehoben vom Essen, damit man das rekonstruieren kann. Dann kam die Nachricht, dass ich wieder positiv war – und meine Frau auch. Die Quelle musste also im Haus sein.
Was haben Sie getan?
Ich habe die Produkte geändert, in neuen Läden eingekauft, sogar mein Mineralwasser gewechselt.
Und?
Trotzdem war ich positiv. Ich sagte: Das gibt’s doch nicht. Irgendwann war dem Schänzer zu bunt. Der sagte: Ich komm noch mal vorbei.
Wie kam er auf die Zahnpasta?
Der Nandrolon-Wert war immer morgens so hoch. Da war die Frage: Mensch, was machen Sie nachts? Ich sagte: Nichts. Ich putz abends die Zähne. Er: Sie putzen sich die Zähne? Hätte ich ihm die Zahnpasta unterjubeln wollen, hätte ich es bei seinem ersten Besuch getan.
Inwiefern sind die ermittelten Dopingwerte in der Testphase für Sie von Nutzen?
Die sind wichtig, um das einordnen zu können. Als wir noch nicht wussten, was wir suchen, habe ich nachmittags gepinkelt. Da war ich fast immer negativ.
Was war der Grund?
Ich habe morgens öfter das Zähneputzen vergessen. Abends putze ich diszipliniert. In den Protokollen kannst du ganz genau sehen, wann ich morgens die Zähne geputzt habe und wann nicht. Als ich dann den ganzen Tag Urin sammelte, war ich um 7 Uhr morgens noch positiv mit 51. Wenn du dann morgens deine Zähne nicht putzt, bist du ab 12 Uhr negativ.
Eine Frage bewegt die Nation: War es eine Elmex-Tube?
Der die Tube manipuliert hat, weiß es. Ich weiß es, die Polizei weiß es. Aber nicht alle wissen es.
„Der, der die Tube manipuliert hat“, will Sie vernichten?
Dagegen habe ich mich lange gewehrt. Aber jetzt frage ich: Was gibt es für Motive? Neid? Hass? Das wäre ja unglaublich, was sich da angestaut haben muss.
Es gibt einige Branchenkollegen, die sich für Sie freuen.
Warum? Weil es den Saubermann erwischt hat? Angenommen, ich hätte tatsächlich gedopt: Man hätte mich zu Recht bestraft. Das macht doch andere Dopingsünder nicht besser.
Die Fraktion, die Doping als Bestandteil des Spitzensports akzeptiert, hat Aufwind.
Natürlich sagen jetzt manche: Wir wussten es schon immer, es geht im Spitzensport nicht ohne. Lasst es uns einfach akzeptieren.
Sollen wir?
Nein. Das ist genau das, was ich immer bekämpft habe. Weil ich weiß, dass es ohne Doping geht. Ich weiß es genau: Ich bin ohne Olympiasieger geworden, ich bin ohne irgendeine Manipulation unter 13 Minuten gelaufen, Leistungssport ist ohne Medikamente möglich. Wir können gar nicht anders, als Doping zu bekämpfen. Und jetzt erst recht.
Die Funktionäre, mit denen Sie das getan haben, sehen, dass zwei Dopingproben positiv waren.
Ja. Aber dass diese Leute sich wegen 0,2 Liter Urin nicht mal die Frage stellen: Sag mal, kann das überhaupt sein? Ich hab mit diesen Leuten über Jahre zusammen gearbeitet für einen sauberen Sport. Da frage ich mich schon, was manche Leute von mir denken.
Dass Sie der abgefeimteste Schurke diesseits und jenseits der Schwäbischen Alb sind?
Da müsste ich ein psychologisches Gutachten anfordern lassen. Denn wenn ich das tatsächlich genommen hätte, wäre ich nicht mehr zurechnungsfähig. Dann fordere ich nicht den Staat auf, härter zu handeln, und zwei Wochen später nehme ich Nandrolon, das man jederzeit nachweisen kann. Ich brauch nur Epo nehmen. Das kann man nicht nachweisen, ich hab einen tollen Nutzen als Langstreckler, dann ist gut. Das ist doch Irrsinn.
Der Sprinter Linford Christie hatte auch Nandrolon im Urin.
Ich glaube nicht mehr, dass Christie Nandrolon genommen hat. Der ist 38 Jahre. Der geht doch nicht zu einer Kontrolle und pinkelt, ohne mit der Wimper zu zu- cken ...
... so wie Sie auch ...
... wenn er weiß, dass es in drei Stunden abgebaut ist. Dann pinkelt er drei Stunden nicht, und dann ist gut.
Ihre Ankläger halten Sie also neben allem anderen auch noch für einen Idioten?
Nee, die halten mich für genial.
Wie jetzt? Weil Sie sich mit einem anabolen Steroid dopen, das leicht und lange nachweisbar ist? Mit Verlaub, Herr Baumann: Genial?
Falsch. Die Annahme ist: Ich habe gedopt, dann halte ich das Kölner Labor zum Narren, dann lasse ich die Zahnpasta finden, dann hole ich die Polizei und halte die zum Narren. Ich bin genial.
Herr Baumann!
Verstehen Sie doch: Wenn ich so genial wäre, dann hätte ich das alles nicht genommen. Auf der einen Seite halten Sie mich für doof, auf der anderen für intelligent. Man muss schon was drauf haben, um diese Geschichte zu initiieren. Im Moment argumentiert jeder so, dass es für seine Geschichte passt.
Sie auc h.
Ja. Die Sache ist aber: Es gibt nur eine Geschichte. Und die kenne ich. Bis auf eins: Ich weiß noch nicht, wer es gemacht hat.
Stellen Sie sich mögliche Gesichter des Übeltäters vor?
Das ist immer eine Gefahr. Das tue ich natürlich auch. Aber nicht öffentlich. Das ist Quatsch.
In der „B.Z.“ hieß es, nachdem der Sportinformationsdienst die Namen Ihrer DLV-Läuferkollegen Franke und Kallabis ins Spiel gebracht hatte: „Jetzt wirft Baumann auch noch mit Dreck.“
Sie sagen es bereits: Die Namen kommen nicht von mir. Ich werfe nicht mit Dreck und gehe auch auf keine Geographiediskussion ein.
Es ist aber eine Tatsache, dass der Dopingkämpfer Baumann im Osten nie populär war.
Wissen Sie was? Ich gehe davon aus, dass der Täter aus Deutschland kommt. Es muss auch nicht im Trainingslager in St. Moritz passiert sein. Ich muss das Leben dieser Zahnpastatube so rekonstruieren, dass man genau weiß: In diesen drei Wochen wurde sie manipuliert. Das ist wichtig.
Herr Baumann: Was sagen Sie denen, für die die Welt nicht mehr in Ordnung wäre, wenn Baumann gedopt hätte?
Wenn das davon abhinge, könnte ich Sie beruhigen: Die Welt ist noch in Ordnung. Und jetzt schaue ich, ob mein Rad noch da ist.Interview: Peter Unfried
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen