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Der behutsame Störenfried

Peter Altmaier ist Christdemokrat von ganzem Herzen. Seine Parteifreunde halten ihn trotzdem insgeheim für einen Verräter. Weil er schon vor der Bundestagswahl für die doppelte Staatsbürgerschaft war und auch jetzt von der Idee nicht abläßt. Vor allem aber, weil er medienpräsenter ist als das Gros seiner neidischen Fraktionskollegen. Nun sucht er seinen inneren Parteifrieden. Ein Porträt  ■ von Markus Franz

Sonntag hatten sie nichts gesagt. Auch nicht am Montag. Erst am Mittwoch saßen sie also endlich da. Vor der Bundespressekonferenz. Eine seltene Ehre für Hinterbänkler der Opposition. Zu viert. Peter Altmaier, Norbert Röttgen, Eckart von Klaeden. Auch Hermann Gröhe war dabei, der sich zuletzt aus den Aktionen der sogenannten Jungen Wilden ausgeklinkt hatte. Vor siebzig Journalisten. Bildjournalisten aus der ganzen Welt. Die Kameras klickten, und doch wollten sich Peter Altmaier und seine Fraktionskollegen über soviel Medieninteresse diesmal gar nicht freuen. Das Thema war heikel: die Unterschriftenaktion seiner Partei, der Union, gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.

Die Journalisten hatten sich einen kontroversen Auftritt erhofft. Schließlich gelten Altmaier & Co innerhalb der CDU als die vehementesten Befürworter einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Aber dann hielt sich Peter Altmaier – ausgerechnet er, der sonst so virtuos mit den Medien spielt – auffallend zurück und überließ Norbert Röttgen das Feld.

Die Reaktion in den Medien fiel entsprechend aus. Keine Schlagzeile mit den Jungen Wilden in den überregionalen Zeitungen. Ein wenig enttäuschend für junge Abgeordnete, die sich öffentlich mal so richtig profilieren wollen. Aber nahezu perfekt für Altmaier & Co!

Denn diesmal ging es weniger darum, für ein Thema zu werben, mit dem die jungen CDU-Abgeordneten in der vergangenen Legislaturperiode ihre politische Karriere verbunden haben, sondern eher um Schadensbegrenzung. Die Jungen Wilden stecken in einem Dilemma: Einerseits müssen sie aus Gründen ihrer Glaubwürdigkeit gegen die Kampagne der Union Stellung beziehen, andererseits müssen sie verhindern, als Sündenböcke für eine Niederlage bei der hessischen Landtagswahl am 7. Februar herhalten zu müssen. Die Welt unkte, die vier Abgeordneten stünden für die „Schuldzuweisung heute schon ganz oben auf der Liste“.

Dabei waren die Gescholtenen nun wirklich diplomatisch vorgegangen. Zunächst kritisierten sie die Pläne der rot- grünen Regierung als zu weitreichend und warnten erst danach vor einer drohenden gesellschaftlichen Isolation der Union. Harmloser geht es nicht, wenn man sein Image als kritische Abgeordnete nicht aufs Spiel setzen will.

Zwei Wochen vor der Bundestagswahl hatten wir schon einmal über Peter Altmaier berichtet – über „das Scheitern in Bonn“. Die Frage war: Wie geht ein Abgeordneter damit um, daß er zum exponiertesten Verfechter seiner Partei für ein Reformthema wird, sich aber schließlich nicht durchsetzen kann? Und welche Konsequenzen hat das für seine Zukunft?

Altmaier hing etwas durch in den Monaten vor der Bundestagswahl. Um seine politische Zukunft war es schlecht bestellt. In Teilen der Union war er als Querulant verschrien. Pessimistisch meinte er nach der erwarteten Wahlniederlage: Innerparteiliche Kritiker haben es in einer Oppositionspartei schwerer, weil eine Partei gerade in der Opposition geschlossen auftreten muß.

Und nun? Altmaiers Befürchtungen erweisen sich als nur zu berechtigt, der Platz für abweichende Meinungen ist knapp geworden. Führende Politiker der CDU räumen zwar in Hintergrundgesprächen ein, daß die von der rot-grünen Regierung geplante Reform des Staatsangehörigkeitsrechts gar nicht so verkehrt ist, halten es aber aus wahltaktischen Gründen für sinnvoller, sie frontal zu bekämpfen.

Und selbst die fast schon selbstverleugnend behutsame Kritik von Altmaier & Co führt in den eigenen Reihen zu plattmachenden Reaktionen. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos hätte kaum verächtlicher auf den Auftritt der Jungen Wilden reagieren können, als er sagte: Die vier Kollegen seien bisher nur dadurch aufgefallen, daß sie schwarz-grüne Kontakte gesucht hätten und noch mal Schlagzeilen machen wollten.

Das saß. Glos hatte genau in jene Kerbe gehauen, die einem profilierten Kritiker am ehesten schaden kann: die Abqualifizierung als mediengeil. Und nichts muß Altmaier, der selbst bei der politischen Konkurrenz relativ großes Ansehen genießt, mehr fürchten.

„Du Arschloch“, war er Mitte September nach dem Artikel im tazmag aus den eigenen Reihen beschimpft worden. Nach der Bundestagswahl wurde es nicht ruhiger. Einmal spazierte er mit einem Fraktionskollegen am Rhein entlang und diskutierte die Ursachen der Niederlage. „Sei besser ganz ruhig“, rief ihm ein anderer Kollege en passant zu, „dir haben wir das doch zu verdanken. Dir und Geißler.“

Wie gefährlich der Vorwurf der Mediengeilheit für einen Abgeordneten ist, zeigte sich auch, als Altmaier nach der Bundestagswahl vorsichtig Partei für eben diesen Heiner Geißler ergriff. Der ehemalige CDU-Generalsekretär hatte eine Debatte über eine mögliche Zusammenarbeit der Union mit der PDS gefordert und damit eine Welle der Empörung in der Union ausgelöst. Altmaier meinte nur, Geißler habe einen Anspruch darauf, daß seine Vorschläge in der Sache gehört und nicht persönlich diffamierend abgelehnt würden. Im übrigen stimme er mit Geißlers Äußerung nicht überein.

Vorsichtiger hätte es das gebrannte Kind kaum formulieren können, dennoch passierte in einer darauffolgenden Sitzung dies: „Alle sind gegen Geißler“, sagte ein Redner, „nur Altmaier nicht.“ Allgemeines Gelächter. Selbst ein selbstverständlicher Appell zu mehr innerparteilicher Fairneß wurde dazu verwandt, Altmaier lächerlich zu machen.

Die Attacken trafen den Saarländer nicht unvorbereitet. Im Juni 1997 hatte der heute Vierzigjährige in einem Aufsatz über „Die ,Inszenierung' von Politik für die Medien – wie wird Politik mediengerecht?“ geschrieben: „Abgeordnete, die über eine gewisse Medienpräsenz verfügen, werden von ihren Kolleginnen und Kollegen schnell als ,mediengeil' oder ,profilierungssüchtig' qualifiziert, regelmäßige Kontakte zu Journalisten gelten als suspekt.“ Auf diese Weise werde mediale Präsenz bestraft, obwohl sie ohne Alternative sei, wenn es darum gehe, die innerparteiliche Willensbildung bei kontroversen Themen voranzutreiben.

Spätestens seit der Bundestagswahl hat Altmaier daraus seine Konsequenzen gezogen. Ein Blick in das Bundestagsarchiv spricht Bände. In den Monaten vor dem 27. September war er noch regelmäßig in den Schlagzeilen aufgetaucht. Mal unterstützte er ein innerparteilich heftig in die Kritik geratenes Strategiepapier von Wolfgang Schäuble, mal äußerte er Zweifel, daß die CDU mit Kanzler Kohl die Wahlen gewinnen könne, mal beurteilte er eine Große Koalition als „kein Drama“, mal betonte er die Bedeutung der Ökologie. Und in kaum einem Artikel über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts fehlte sein Name. Altmaier gab Interviews, bestritt Diskussionsveranstaltungen, nahm an Umfragen teil.

Seit der Bundestagswahl meldet er sich dagegen laut Bundestagsarchiv nur noch etwa einmal pro Monat öffentlichkeitswirksam zu Wort. Am 5. Oktober wies er darauf hin, daß sich die früheren Ehrenvorsitzenden der CDU, Konrad Adenauer und Kurt Georg Kiesinger, stets zurückgehalten hätten – was einer indirekten Aufforderung an Helmut Kohl gleichkam, es denen gleichzutun. Am 3. November unterstützte er Fraktionschef Schäuble, der gefordert hatte, die CDU für neue Koalitionen auf Landesebene zu öffnen. Am 12. Dezember sprang er Heiner Geißler bei. Und nur einmal bis zum Jahresende, in der Zeitung Das Parlament, findet sich ein Beitrag zur Staatsangehörigkeit.

Natürlich ist Altmaier als Oppositionspolitiker auch nicht mehr so gefragt. Riefen früher dreißig Journalisten am Tag an, wenn es um das Thema Staatsangehörigkeit ging, waren es auf einmal nur noch vier. Schließlich bestimmen nun die Politiker von SPD und Grünen, wo die Musik spielt. Aber Altmaier verweigert sich auch mehr denn je. Er weist häufiger Interviewwünsche zurück, will sich seltener zu aktuellen Themen namentlich äußern; und selbst als die Debatte um die Kampagne der Union zur doppelten Staatsbürgerschaft hochkochte, hielt er tagelang still, ehe er schließlich zusammen mit drei Kollegen vor die Bundespressekonferenz trat.

Ist Altmaier also opportunistischer geworden? „Ich halte die Fahne weiter hoch“, sagt er. Auffallend häufig aber in jüngster Zeit stellt er Überlegungen an, die begründen sollen, warum er sich mit Kritik an der Partei zurückhalten müßte. „Das Problem ist“, sagt er etwa, „ob ich überhaupt die Legitimität habe, mich um Fragen zu kümmern, die die Partei als Ganzes betreffen.“ Schließlich habe er keine Führungsposition in der Partei.

Der Wulff und der Müller dagegen, sagt Altmaier über den niedersächsischen und den saarländischen CDU-Chef, die seien als stellvertretender Bundesvorsitzender und Präsidiumsmitglied dazu befugt.

Die Kastanien sollen also andere aus dem Feuer holen. Vielleicht gelingt Altmaier ja auf diese Weise ein ähnlich erfolgreicher Weg wie seinem Kollegen Friedbert Pflüger, der sich in seiner ersten Legislaturperiode als Bundestagsabgeordneter (1990 bis 1994) ebenfalls in der Union mißliebig gemacht hatte. Mutige Widerreden zu Kohls Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, den Sachsen Steffen Heitmann, führten in die parteiinterne Isolation. Inzwischen ist Pflüger, der vier Jahre lang bei den Parteioberen nicht mehr unangenehm auffiel, Vorsitzender des Europaausschusses. Eine begehrte Position in einer Partei, die nicht mehr viele Posten vergeben kann.

Der Jurist Altmaier ist in der neuen Legislaturperiode immerhin Vorsitzender des Unterauschusses Europarecht im Rechtsausschuß geworden. Das signalisiert immerhin, daß er nicht gänzlich ausgegrenzt werden soll. Für mehr wäre der innerparteiliche Widerstand wohl zu groß gewesen. Und für ein gewähltes Amt käme er schon gar nicht in Frage.

Aber vielleicht schafft es Altmaier ja, längere Zeit die Klappe zu halten oder wenigstens sich noch vorsichtiger als ohnehin schon zu äußern. Dann ist auch für ihn mal der Vorsitz eines Hauptausschusses drin. „Das ist das Schöne an dem Spiel“, sagt Altmaier gelegentlich, „man weiß nicht, wie es ausgeht.“

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