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Der bayerische Sonderweg

Nach den Osterferien war in der Enquetekommission Aids die Welt nicht mehr in Ordnung. Bis dahin hatte die Mehrheit von CDU und SPD die (öfter von der FDP unterstützte) CSU -Minderheit immer wieder durch Zugeständnisse davon abhalten können, ein Sondervotum zu formulieren: Der Preis war unter anderem ein Verzicht der Kommission, im Zwischenbericht zum bayerischen Maßnahmenkatalog Stellung zu nehmen. Auch die repressive Aids-Bekämpfung in bundesdeutschen Knästen wurde vorerst nicht zum Thema gemacht.

Geholfen hat das wenig, denn nach Ostern ging trotz allem in der Kommission nichts mehr: Zuviel Sorge um Randgruppen, zuwenig Zwangsmaßnahmen enthielten die bisherigen Papiere, so jedenfalls befanden die von intensiven Beratungen in der Münchner Staatskanzlei zurückgekehrten vier Bayern Gallwas, Zöllner, Geis und Spann und präsentierten ein bereits fertig formuliertes Sondervotum zum allgemein als dem wichtigsten bezeichneten Kapitel „Prävention“. Plötzlich galten der Bayerntruppe (die der gemeinsamen Fassung ursprünglich zugestimmt hatte) ganze Passagen des Votums als „soziologisches kauderwelsch“.

Daß der Schwerpunkt des Mehrheitsvotums „auf Randgruppen wie 'Schwule und Fixer‘ liegt“, schien dem CSU-Abgeordneten Geis in einem Brief an den Vorsitzenden Voigt „im Verhältnis zu den übrigen Problemen, z.B. mit dem Problem (sic!), welche ungeheure Kostenlawine auf uns zukommt, eine unangebrachte Überbetonung“.

Das war in dem bayerischen Sondervotum gründlich anders. Da Aids nach Meinung der vier möglicherweise doch durch „Anhusten“ übertragen werden kann, ist die gesamte Bevölkerung ständig hochgefährdet. Weil auf die Hustgewohnheiten aber kein Einfluß gewonnen werden kann, gehen die Bayern auf anderem Gebiet zur Sache: Werbung für Kondome, stellen sie fest, ist gefährlich. „Eine Kondomwerbung kann bereits bei Schülern den Eindruck erwecken, daß promiskes Sexualverhalten das normale sei.“ Statt Aufklärung und Benutzung von Kondomen scheint den Bayern deswegen die Beratung der Schlüssel zur Prävention zu sein. „Gegebenfalls ist auch an eine rechtliche Verpflichtung, sich beraten zu lassen, zu denken.“ Außerdem plädieren die Bayern für die Anwendung seuchenrechtlicher Vorschriften und für die namentliche Meldepflicht.

Das von CDU, SPD und FDP getragene Mehrheitspapier unterstützt dagegen den Kurs der Gesundheitsministerin Süssmuth, „und führt ihn an entscheidenden Punkten weiter“, wie der Medizinsoziologe Rolf Rosenbrock meint. Statt eines schlichten „Gib Aids keine Chance“ soll künftig auch gesagt werden, wie das zu machen ist. Wichtiger allerdings als die allgemeine Aufklärung der Bevölkerung ist der Kommissionsmehrheit die persönliche Beratung - die allerdings ausschließlich als freiwillig wahrzunehmendes Angebot verstanden wird.

Die Beratung soll vor allem in Zusammenhang mit dem HIV -Test greifen: Ohne vorherige Beratung soll kein Test durchgeführt werden, eine Beratung danach soll selbstverständlich werden. „Menschen, die häufig Risikosituationen durchleben“, wird in dem Kommissionsmehrheitspapier ausdrücklich vom Test abgeraten: weil er, bei negativem Resultat, falsche Sicherheit und im Falle eines positiven Befundes zu erheblichem psychischem Streß führen kann - ohne daß die Kenntnis des Testergebnisses tatsächlich langfristige Verhaltensänderungen zur Folge hat. Die Kommission weist in dem entsprechenden Abschnitt auf die als positiv bewertete „Testentmutigungspolitik“ in den Niederlanden hin.

Das Sondervotum der Grünen spricht dem Staat die Fähigkeit ab, in der Prävention eine dominierende Rolle übernehmen zu können. Der Staat dürfe nicht einmal „an seine Bürgerinnen und Bürger die Forderung richten, sich nicht mit HIV zu infizieren“. Statt dessen soll der Staat nach Vorstellung der Grünen ausreichend Mittel Dritten, zum Beispiel den Aids -Hilfen, zur Verfügung stellen. Gesetzgeberische Maßnahmen dürften nur zum Ziel haben, mögliche Diskriminierung zu verhindern. „Strafrechtliche Verfolgung bei der Übertragung des HIV darf es nicht geben“, wird deswegen festgehalten.

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