piwik no script img

Der Zauderer übt sich in Geduld

Die erste umfassende Biografie über den extrem rechten Ideologen Björn Höcke ist erschienen. Die penible und nüchterne Recherche von Frederik Schindler enthüllt neue Details aus Höckes politischer Sozialisation

Er sei ein „eitler Gockel“, sagen Parteifreunde über Höcke, hier in Erfurt, 2017 Foto: Sven Döring/laif

Von Gareth Joswig

Wenn Björn Höcke in Deutschland die Position inne hätte, die er haben will – dann wäre dieses Buch wohl nie erschienen. Die erste umfassendere Höcke-Biografie des Welt-Journalisten Frederik Schindler ist eine Recherche über viele Dinge, die der völkisch-nationalistische AfD-Landeschef aus Thüringen lieber für sich behalten hätte. Investigativrecherche – Höcke hasst diesen Trick.

Zwar war es auch vor Schindlers Buch kein Geheimnis, dass Höcke ein Rechtsextremist ist, den man aufgrund seiner ideologischen Überzeugungen als Faschisten bezeichnen kann. Man wusste bereits, dass Höcke schon 2010 an einer Neonazi-Demo teilnahm, Kontakte zum NPD-Kader Thorsten Heise pflegte, mutmaßlich unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ pseudointellektuelle Fascho-Pamphlete in NPD-Blättchen schrieb und dass er als Kind beim Kuscheln im Ehebett seiner Großeltern von der guten alten Zeit in Ostpreußen erzählt bekam. Dass sein größter Einflüsterer der rechtsex­treme Ideologe Götz Kubitschek ist, war ebenso bekannt wie die Tatsache, dass die extrem Rechten die 2013 als rechtskonservativ-marktradikal gestartete AfD als Vehikel gezielt genutzt haben, um ihre völkische Ideologie zurück in den Mainstream zu führen – leider erfolgreich.

Aber Schindler trägt in seinem Buch nicht nur sorgfältig zusammen, was bekannt ist, sondern hat auch zahlreiche neue Fakten ans Tageslicht gebracht – vor allem zur politischen Sozialisation Höckes in seiner ebenfalls ziemlich gesichert rechtsextremen Familie. Schindler hat dafür mit Mit­schüler*innen und Schüler*innen von Höcke gesprochen, mit Lehrerkolleg*innen und Parteifreund*innen. Er wertete zahlreiche Mails aus, sprach mit weggebissenen Parteifeinden und zeichnet die schonungslose Gleichschaltung des Thüringer Landesverbands nach – von wo aus Höcke mit seinem völkisch-nationalistischen Netzwerk die Bundespartei erfolgreich radikalisierte.

Dabei kommen durchaus saftige Details zutage: Höcke trug als Schüler offenbar Springerstiefel und beteiligte sich am Mobbing von Klassenkameraden, soll „Jude“ als Beleidigung benutzt haben. Als Geschichtslehrer ließ er in seinem Klassenzimmer eine Karte von Deutschland in den Grenzen von 1914 aufhängen. Als sich Schülerschaft und Lehrerkollegium an seinem Gymnasium gegen die drohende Abschiebung eines Schülers einsetzen wollen, stellt Höcke sich quer und droht mit einer Klage auf Grundlage des Neutralitätsgebots.

Parteifreunde, die er politisch kaltgestellt hat, bescheinigen ihm ein „richtiger Diktator“ zu sein, ein „völkisch-nationaler Sozialist“ und ein „eitler Gockel, der alle auf seine Linie bringen will“. Zusammen mit seinen Vertrauten führe er den Landesverband wie einen Clan zu seiner eigenen Machtsicherung, heißt es. Schindler analysiert aber auch historisch fundiert Höckes Geschichtsrevisionismus und entkleidet dabei dessen verschwurbelte Sprache bis auf ihren menschenverachtenden sowie häufig strukturell antisemitischen Kern – und landet am Ende häufig erstaunlich nah bei Hitler.

Eine Stärke des Buchs ist dabei vor allem, wie sachlich und nüchtern Schindler seine Rechercheergebnisse und Analysen vorstellt. Wohl auch deswegen hat Höcke die zahlreichen Fragen zu den neuen und alten Fakten unbeantwortet gelassen. Der Satz zieht sich in zahlreichen Varianten wie ein Running Gag durch das Buch: „Auch hierzu wollte Höcke sich nicht äußern.“

Dennoch bleibt das Buch basiert auf Fakten, wägt Interpretationen sorgfältig ab und bildet auch Höckes Perspektive bestmöglich anhand seiner Selbstzeugnisse, geleakter Mails und Social-Media-Beiträge ab.

Frederik Schindler: „Höcke: Ein Rechtsextremist auf dem Weg zur Macht“. Herder, Freiburg, Basel, Wien 2025, 272 Seiten, 22 Euro

So entsteht auch ein Eindruck von der Sogwirkung, die Höcke erzeugen kann: Anhänger und Weggefährten vergöttern ihn geradezu, weil seine demagogische Rhetorik und sein pseudo-intellektueller Nimbus verfängt. Seine An­hän­ge­r*in­nen wähnen sich als Teil einer Gemeinschaft von „Aufgewachten“ im Widerstand.

Viele ehemalige Schü­le­r*in­nen reden aber auch von Höcke als Lehrer durchaus positiv – er wurde mehrfach zum Vertrauenslehrer gewählt, eine Klasse pflanzte zum Abschied sogar einen Obstbaum in Höckes Garten. Dass er damit heute extrem rechte Propaganda macht, gefällt seinen ehemaligen Schü­le­r*in­nen allerdings weniger.

In der Summe ergibt sich das Bild eines planvoll agierenden Ideologen, der sich selbst als den großen Führer einer rein zu haltenden Volksgemeinschaft sieht und sich auf ein Netzwerk von Überzeugungstätern verlassen kann. Relevant ist das Buch leider, weil Höcke langfristig betrachtet der prägende Politiker der AfD ist, seine Ideologie mittlerweile die Partei bestimmt und diese bekanntlich auf Bundesebene derzeit zweitstärkste Kraft ist. Auch wenn einige langjährige politische Be­ob­ach­te­r*in­nen schon Höckes Stern sinken sahen und er sich als entscheidungsschwacher Zauderer noch nie auf die große politische Bühne getraut hat, wartet er geduldig darauf, dass sein Moment kommt.

In der Summe ergibt sich das Bild eines planvoll agierenden Ideologen, der sich selbst als den großen Führer einer rein zu haltenden Volks­gemein­schaft sieht

Eine Leerstelle im Buch bleibt neben nur groben Rahmendaten zu Höckes Studienzeit auch der mediale Umgang mit Höcke und der von ihm radikalisierten AfD. Unerwähnt bleibt auch das Phänomen einer gewissen medialen Fixierung auf den Rechtsextremisten, die unnötige Normalisierung von rechtsextremen Diskursen und der verantwortungslose Umgang mit medialer Reichweite (kein Shout-out an den Springer Verlag). Mittlerweile führt die Welt selbst rechtsradikale Hetzkampagnen von Nius gegen linke NGOs fort – in einem Zungenschlag, wie auch Höcke ihn seit Jahren propagiert. Höcke und die gesamte AfD erreichen ihre ­Wirkmacht auch unter freundlicher Mithilfe faktenferner Mediendiskurse zu Migration, angeblich linksextremen Verfassungsrichterinnen und linken NGOs.

Es wäre schön, wenn auch Schindlers Kol­le­g*in­nen – vor allem Vorgesetzte! – und Politiker wie der Staatsminister Wolfram Weimer sein Buch lesen und verstehen würden. Dann würden sie vielleicht die Bedrohung für die Demokratie, die von der AfD ausgeht, ernst nehmen – anstatt spalterische Kulturkämpfe zu führen. Ähnliches gilt natürlich für die Union. Es darf keine Zusammenarbeit mit einer Partei geben, die einen Höcke und seine Ideologie toleriert. Das vor allem zeigt dieses Buch.

Immerhin:Welt-Chefreporter mit „Lanz“-Dauerkarte, Robin Alexander, hat das Porträt schon gelesen. Er bringt es im Vorwort auf diesen für ihn offenbar neuen Punkt: „Höckes Feindbild ist nicht Merkel, sondern Adenauer.“ Deswegen sei jegliches Entgegenkommen auch seitens der Union einer von Höcke geprägten AfD vergeblich. Ist doch schön, wenn was hängen bleibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen