Der Weg zum Glück : Party oder Achtsamkeit?
Aron mag Exzess und Berlin. Sein Freund Albrecht will in der norwegischen Einöde buddhistischer Mönch werden. Was ist besser?
Von Aron Boks
taz FUTURZWEI, 16.02.2023 | Ich sitze in einem Taxi und lass mich durch die norwegische Einöde fahren. Auf der Sitzbank neben mir steht eine Tüte mit einer eingepackten Zimmerpflanze.
Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Albrecht hat heute Geburtstag, er wird 23 und hatte sich die gewünscht. Albrecht ist ein Freund von mir und weil er seit Anfang des Jahres von Leipzig nach Norwegen gezogen ist, bin ich mitsamt der Zimmerpflanze auf dem Weg in die Gemeinde Skiptvet, eine Autostunde südöstlich von Oslo.
Um ehrlich zu sein, so gut kennen Albrecht und ich uns gar nicht. Er ist der Sohn einer Freundin meiner Mutter und ich kann mich eigentlich nur an wenige Treffen mit ihm erinnern.
Einmal saßen wir als Kleinkinder in einer Badewanne, dann als Jugendliche an einem Festtisch in irgendeinem Garten und dann vor Kurzem bei einer Veranstaltung in Berlin nebeneinander. Ich erzählte ihm, dass ich nach dem Abitur viel ausprobiert hatte und schließlich hier gelandet sei. Ihm ging es ähnlich. Im Unterschied zu mir wusste er aber, was er machen wollte: buddhistischer Mönch werden. Eine Existenz ohne Sex, ohne Drogen und viele anderen Dinge, die ich an meinem Berliner Leben mag. Ich blieb zur Aftershowparty. Er blieb nicht und ging am nächsten Tag zurück in sein Kloster.
Warum im Kloster leben?
Er habe sich für diesen Ort entschieden, weil er das Leid der Welt und die Tatsache nicht ertragen konnte, dass Menschen sich wider die Vernunft schlecht verhalten. Mir leuchtete das ein, aber ich verstand einfach nicht, wie die Entscheidung, sich komplett von der Welt abzukoppeln und hauptsächlich zu meditieren darauf eine wirklich gute Antwort sein könnte. In der Zwischenzeit habe ich junge Politiker:innen interviewt, mit Klimaaktivist:innen ein Haus besetzt und den schlimmsten Liebeskummer meines Lebens mit allem bekämpft, was die Großstadt so an Ablenkung zu bieten hatte.
Alle, die ich seither traf, hatten unterschiedliche Sichtweisen auf das Leid in der Welt, aber alle einte die Strategie, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten, um sie zu verändern. Ich selbst habe auch in dieser Hinsicht noch keine abschließende Erkenntnis.
Das Taxi hält. In einer hölzernen Bushaltestelle sitzt mit Glatze und Winterjacke – Albrecht.
„Sei gegrüßt!“, sagt er und bedankt sich sehr ernsthaft für die Zimmerpflanze. Albrecht redet langsam, nie besonders viel und seine Worte sind immer mit einem leichten, raunenden Hall ausgestattet – als würden sie damit eine Schutzkleidung tragen, in dieser vielquatschenden Außenwelt. Wir umarmen uns und dann deutet Albrecht auf einen Wald, hinter dem offenbar das Kloster liegt.
Unser Weg führt uns durch den Schnee vorbei an vereisten Bächen und Birken. Auf einem Baumstumpf machen wir Rast und Albrecht holt ein paar Plastikboxen mit Essen hervor. Dann spricht er ein kurzes Gebet und ich checke die Zeit am Handy. 11:30 Uhr. Es gibt Tofu mit Sauce, Reis, Salat, Lebkuchen. Frühstück für mich, für Albrecht die letzte Mahlzeit des Tages. Er ist seit acht Stunden wach und nach 12 Uhr isst man hier nichts mehr.
Beim Weitergehen sehe ich rote Holzfassaden, die auf den Schneefeldern wie seltene Pilze aus dieser menschenleeren Landschaft ragen. So sah meine Norwegenfantasie immer aus – außerdem roch es nach Waffeln. Anders als in der Ecke des Osloer Szeneviertel Grünerløkker, in der ich untergebracht bin. Da roch es heute Morgen nach Pisse. Überall. Eine augenscheinlich völlig zugedröhnte Wohnungslose kroch über den Eisboden, in jeder Ecke lag Plastikmüll und mir stellte sich die Frage, was genau in den Köpfen von Menschen abgeht, die in einen Burger beißen und denken – so, jetzt werfe ich den einfach mal auf den Boden und geh weg.
Vollständige Leichtigkeit, ohne Drogen
Wir betreten Albrechts Zimmer. Eine rote Holzhütte, mit einem kleinen Buddha-Schrein, einer Holzbank, einem Schreibtisch und zwei Lehrbüchern. Die buddhistische Mönchslehre dauert Jahre.
Bei seinem ersten Klosteraufenthalt vor drei Jahren, als er überhaupt erst einmal wissen wollte, wie so ein Leben ablaufen könnte, hat Albrecht die Schriften des Buddha gelesen, der aus einer Königsfamilie kam und sich dann von diesem Leben abgewandt und den achtfachen Pfad und die vier edlen Wahrheiten erkannt hat, die jahrhundertelang ausschließlich mündlich überliefert wurden. Die Wahrheiten beschreiben das Leid in der Welt. Einfach nacherzählt sagen sie, dass Leiden von unserem Bedürfnis nach Lustbefriedigung kommt und dass das Leid erst endet, wenn wir aufhören, an diesen Bedürfnissen zu hängen – was möglich wird, wenn man dem achtfachen Pfad nachgeht.
Albrecht hatte eine sorgenfreie Jugend mit vielen Partys ohne allzu viele negative Gedanken. Seit seinem neunten Lebensjahr kennt er jedoch auch die Angst, allein zu sein oder schlimme Schmerzen zu erfahren. In dieser Zeit plagten ihn Albträume.
Nach der Schule suchte er seine Zukunft erst in der Philosophie und dachte viel über den Tod und das Leiden nach. Nur bei einem Experiment mit halluzinogenen Pilzen spürte er ein Gefühl der vollständigen Leichtigkeit und Angstfreiheit. Er wollte dieses Gefühl wieder spüren, aber ohne dauerhaft drauf zu sein.
Das Eigenheim und die Vergänglichkeit
Siddharta Gautama, später dann Buddha, ist einem alten Menschen, einem sehr kranken Menschen und einer Leiche begegnet. Diese spürbare Vergänglichkeit des Lebens, dass jedes Lebewesen dieses Leid erfahren muss, hat ihn so sehr bewegt, dass er seine Königsfamilie verlassen hat und Asket geworden ist, da er für sich erkannt hatte, dass das Leben leidvoll ist. Also hatte Albrecht, bevor er ins Kloster ging, ein Praktikum in der Altenpflege und in einem Hospiz gemacht und sich entschieden, dem Buddha nachzugehen, Mönch zu werden. Sein Lebenstraum.
Es hätte für ihn auch noch einen alternativen Traum gegeben, wie er mir jetzt erzählt.
Im Leipziger Stadtteil Connewitz gibt es eine große Lücke in einem Bauzaun. Manchmal ist Albrecht daran vorbei gelaufen und hat sich überlegt, dort ein kleines Haus zu bauen – nur eine Etage mit kleinem Garten. Die Idee war, Glück in der Schönheit des Bescheidenen zu finden.
„Aber die Möglichkeit, hier im Kloster den Blick nach innen zu richten, wiegt mehr als dieser Traum?“, frage ich.
„Nein, nein. Die Vergänglichkeit wiegt mehr. Der Gedanke, dass ich am Ende alles verliere und am Ende nur der Tod steht“, sagt er. „Wir sind alle von Schmerz befallen. Das ist etwas nicht Auszuhaltendes. Es gibt aber eine Lösung, da bin ich mir sicher.“
Er stellt die Zimmerpflanze vor seinen Schreibtisch, sieht auf die grünen Blätter, die sich jetzt an die Fensterscheibe lehnen, bis sich sein Blick etwas aufhellt. „So was hat mir wirklich gefehlt“, sagt er.
Lügen verboten
Später trinken wir Tee in einer anderen Holzhütte, dem Gemeinschaftshaus des Klosters. Man versucht hier, so bewusst wie möglich zu leben, sich ständig zu fragen, was man wirklich braucht. Und natürlich sei das nicht immer einfach, meint Albrecht.
Richtig schwer fällt es ihm, wenn ihn der Hunger überkommt. Wenn er sich dann allein fühlt und seine Familie vermisst. Ich frage mich, wieso er das dann überhaupt macht. Wieso er nicht einen anderen Weg sucht, um zu versuchen, glücklich zu werden. Aber gleichzeitig könnte er mich ja das Gleiche fragen, denke ich.
Ich wüsste nichts zu sagen, außer, dass ich keine Antwort habe, und erzähle Albrecht, dass ich es liebe, von einem Ort zum anderen zu reisen und nachts in Clubs zu tanzen. Oder durch laute Straßen zu laufen, weil ich so das Leben und die Umwelt um mich herum spüre und aufsauge. Aber ein unruhiger, vielleicht auch kindlicher Teil von mir verlangt das sicher auch, weil ich manchmal Angst davor habe, mich in völliger Stille allein mit mir selbst wiederzufinden. Und so geht es ja sicher nicht nur mir. Albrecht schweigt einen Moment.
„Ich würde nicht so gern dein Leben führen“, sagt er schließlich.
„Das kann ich nur zurückgeben!“, antworte ich. Lügen ist nämlich verboten im Kloster. Dann lächelt er und ich lächle auch. Albrecht fragt, ob wir uns ans Lagerfeuer setzen wollen, da wäre es sicherlich gemütlicher.
„Aber das darfst du doch gar nicht!“ Lagerfeuer sind hier für Mönche verboten. Sie könnten „unachtsame Gespräche“ provozieren. Albrecht sieht mich unbeeindruckt an. „Noch bin ich ja kein Mönch.“
Wird Albrecht denn nun Mönch? Oder am Ende sogar Aron? Fortsetzung folgt.
„Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.