Der Unfall als B-Picture

■ Kleines Jubiläum: Das "Verkehrsgericht" tagt zum 50. Mal (19.25 Uhr, ZDF)

Irgendwie wäre es enttäuschend, wenn die 50. Folge des „Verkehrsgerichts“ als Jubiläums- Highlight daherkäme. Doch zum Glück ist „Chaos durch Gaffer“ ebenso routinierter Durchschnitt wie die 49 Folgen zuvor: der Unfall als B-picture-Sequenz, die Gerichtsverhandlung als Court-TV- Simulation und Petra Schürmann als Moderatorin. So war es schon 1983, und so ist es auch heute noch.

Was gibt es also zu feiern? Die „Nepper-Schlepper-Bauernfänger“-artigen Spielszenen etwa, mit ihrer hölzernen Ikonographie des Alltäglichen? Nur mäßig spektakuläre Exposition. Die Ausführungen des Versicherungsexperten? Nur langatmige Intermezzi, damit der Verband der Schadensversicherer das „Verkehrsgericht“ auch weiterhin sponsort. Nein, das eigentliche Glanzstück der Sendung ist die Gerichtsverhandlung. Deren ganz eigene Ästhetik nämlich liegt in dem ungewöhnlichen Produktionsprocedere begründet: Der gesamte exekutive Apparat des „Verkehrsgerichts“ rekrutiert sich aus „Originalmitwirkenden“. Richter, Staats- und Rechtsanwälte sind authentisch und bekommen zur Vorbereitung auf die Verkehrsgerichtsverhandlung fiktive Polizeiakten. Täter, Opfer und Zeugen hingegen sind zwar Schauspieler, aber auch für sie gibt es kein festes Drehbuch. Statt dessen werden sie vorab mit Hunderten von Fragen auf ihre Rolle vorbereitet, damit sie beim freien Rede- und Antwortspiel in der Verhandlung auch „richtig“ improvisieren können.

Bereits 1960 hatte die Produktionsfirma Televersal die Grundidee für derartige TV-Prozesse dem amerikanischen Fernsehen abgeschaut und im deutschen Fernsehen (zuerst unter dem Titel„Das Fernsehgericht tagt“, später dann als „Ehen vor Gericht“ und „Verkehrsgericht“) realisiert. Diese kleinen Kammerspiele zwischen Reality-TV und Method Acting verdanken ihre Dramatik und Sehens-Würdigkeit geradezu notgedrungen den meist unbedeutenden Schauspielern: In „Chaos durch Gaffer“ spielt Cornelia Hampe die Angeklagte Angelika Cordes als tragische Täter/Opfer- Figur beklemmend nachvollziehbar zwischen unterdrückter Hysterie und aufkeimendem Phlegma. Und auch Gerhard Borris als cholerischer Angeklagtenvater und comic relief ist einfach großartig. Der ideologische Output der Serie hingegen steht noch ganz in der Tradition der Post-Wirtschaftswunderzeiten: ein wenig Rechtsgläubigkeit, ein wenig Gesetzgeberschelte, ein wenig Verkehrserziehung, ein wenig Katharsis für Hobbyquerulanten und eine gehörige Portion pädagogisch legitimierten Voyeurismus für die überalterte ZDF-Klientel vor den Bildschirmen. Trotzdem sei das heutige „Verkehrsgericht“ auch jüngeren Zuschauern empfohlen – als gute Unterhaltung und als Relikt und Anschauungsobjekt eines ehedem (zumindest formal) experimentierfreudigen Fernsehens. Christoph Schultheis