Der Tod eines Frachtpakets

In Frankfurt muß sich seit gestern ein Arzt verantworten, der am Tod des Asylbewerbers Kola Bankole mitschuldig sein soll. Wie eine „Wurst“ wurde der Nigerianer von Beamten verschnürt  ■ Aus Frankfurt am Main Heide Platen

Karl-Heinz B. ist 45 Jahre alt, seit zwanzig Jahren beim Bundesgrenzschutz (BGS) und ein Tüftler. Er ist ein bewährter Beamter und wurde deshalb „ausgesucht“, als er seinen besonderen Dienst am 30. August 1994 „kurz nach zwölf Uhr“ antrat. Von da an hatte der 30jährige Nigerianer Kola Bankole noch ungefähr zwei Stunden zu leben. Gegen 14.20 Uhr wurde sein Tod festgestellt. Karl-Heinz B. sagte gestern mittag vor dem Amtsgericht in Frankfurt am Main als Zeuge aus. Angeklagt ist der Arzt Rainer H., der, so der Staatsanwalt, „in einem Unglücksfall nicht Hilfe geleistet“ habe, obwohl ihm das „ohne erhebliche Eigengefahr zuzumuten“ gewesen wäre.

Der abgelehnte Asylbewerber Kola Bankole starb während seiner Abschiebung auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen in einer Lufthansa-Maschine. Das Flugziel war Lagos, doch dort sollte Kola Bankole nie ankommen.

Er war, so der Arzt, gefesselt „wie eine verschnürte Wurst“. Er gab dem „Schübling“ im Flugzeug eine Beruhigungsspritze. Die Herzkrankheit des sich heftig wehrenden Mannes erkannte er nicht: „Ich dachte, der muß kerngesund sein.“ Bankoles Hände waren an den Knien zur Sitzposition gefesselt, von hinten zerrten zwei Beamte den Kopf, die Brust, die Füße mit Gurten zurück, von vorne drückten ihn zwei Kollegen in den Sessel. Bankole habe sich, sagte der Beamte E., der von hinten den von Karl-Heinz B. aus Wollsocken und Rolladenband selbstgebastelten Knebel und den Brustgurt wie Zügel hielt und festzurrte, auch nach der Spritze noch heftig gewehrt. Er sei, sagte dagegen gestern Tüftler B., sofort nach der Injektion still gewesen: „Der wurde auf einmal so kalt.“ Der Mediziner aus der Flughafenklinik, der gegen Bezahlung schon öfter Abschiebehäftlinge begleitet hatte, habe mehrmals den Puls gefühlt und Vermutungen darüber angestellt, ob der „Schwarzafrikaner“ simuliere oder sich vielleicht „in Trance versetzt“ habe. Das habe insgesamt etwa eine Viertelstunde gedauert.

Professor Ulrich Gottstein, als medizinischer Gutachter geladen, fragte den als Notarzt ausgebildeten Kollegen, warum er denn, nachdem ihm Bedenken gekommen waren, nicht sofort, wie nach dem Lehrbuch geboten, mit Wiederbelebungsversuchen begonnen habe? Warum er statt dessen weggerannt sei, um einen Notarztwagen zu bestellen? Rainer B. müht sich um eine Antwort und sagt schließlich: „Ich hatte eine mentale Lähmung.“ Dann schiebt er einen Satz hinterher, der wie eine Entschuldigung klingt: Sein Verhalten sei „sicherlich falsch“ gewesen. Ob er sich nicht über den seltsamen Knebel gewundert habe. Nein, sagte der Zeuge, er habe den Eigenbau „für ein geprüftes Gerät“ gehalten und sich auf die Beamten des Bundesgrenzschutzes verlassen.

Die wiederum wiesen gestern jede Schuld von sich. Sie hätten sich, so die Beamten, schließlich auf ihn, den „erfahrenen Arzt“, verlassen. Im Gegensatz zum Arzt haben sie nichts mehr zu befürchten. Das Ermittlungsverfahren gegen die vier Beamten des Bundesgrenzschutzes wurde eingestellt.