Der Südsudan ist unabhängig: Tränen der Freude unter neuer Fahne
Ausgelassen feiern die Menschen in der Hauptstadt Juba den historischen Moment. Auch Chaos bei der Organisation der Zeremonie tut der Begeisterung keinen Abbruch.
JUBA taz | "Wir schlagen ein neues Kapitel unserer Geschichte auf. In unseren Gebeten haben wir heute Gott um eine glückliche Zukunft und Weisheit für unsere Führer gebeten", erzählt Mary Buli am Sonntagmorgen, nach dem Gottesdienst in der Sankt-Joseph-Kirche in der südsudanesischen Hauptstadt Juba. Sie ist müde von den Feiern und begeistert von der Unabhängigkeit, die am Samstag ausgerufen wurde. Über fünfzig Jahre herrschte - mit Unterbrechungen - Krieg zwischen Nord- und Südsudan. Im Zeitraum von 1983 bis 2004 kamen zwei Millionen Menschen ums Leben. Das Friedensabkommen von 2005 führte schließlich zur Unabhängigkeit Südsudans.
Die Feier hatte für Mary Buli schon am Freitagabend angefangen, als sie mit Freunden singend und tanzend durch die Straßen zog. Es wurde getrommelt, gehupt und auf Vuvuzelas geblasen. "Genau um Mitternacht fing ich an zu jubeln. Ich konnte gar nicht mehr aufhören. Ich verspürte so ein großes Glücksgefühl in mir", erzählt Mary Buli. Ihre dunkelbraunen Augen füllen sich mit Tränen. "Als unsere neue Fahne gehisst wurde, habe ich vor Freude geweint über unsere Freiheit, aber auch über den schmerzhaften Weg dorthin."
Viele Kirchgänger haben Ringe unter den Augen. Jeder hat zu wenig geschlafen. Die Straßen von Juba sind übersät mit den neuen Fahnen aus Papier, leeren Bierflaschen und Limonadenbüchsen. "Die Straßen waren so schön sauber gemacht worden für die Unabhängigkeitsfeier. Ich hoffe, dass sie auch gefegt werden, wenn keine hohen Besucher kommen", sagt Mary Buli.
Im Schatten einer Mauer trinkt Godfrey Lado, ein junger Anwalt, seinen heißen und süßen Tee. Für ihn ist der Sonntag ein Tag der Besinnung, die Unabhängigkeitsfeier sei wie ein Traum vorübergegangen. "Ich hoffe, dass das Chaos von Samstag nicht ein Beispiel dafür sein wird, wie unsere Regierung künftig funktioniert. Die Zeremonie hat deutlich gezeigt, dass es an einer Kommunikation zwischen den Ministerien mangelt."
Er deutet auf einen Aufruf, mit dem Parlamentsmitglieder und Armeeangehörige aufgeordert wurden, ihre Plätze auf der Tribüne ausländischen Gästen zu überlassen. Aus Ministerien in der Nähe des Platzes, wo die Zeremonie stattfand, mussten noch in letzter Minute Bürostühle geholt werden, um ausländischen Regierungsabgeordneten einen Sitzplatz anbieten zu können. "Das Auswärtige Amt muss doch gewusst haben, wie viele Besucher geladen waren", sagt Godfrey Lado.
Mangels Trinkwasser ohnmächtig
Die Unabhängigkeitszeremonie vor dem Mausoleum von John Garang, dem verstorbenen Führer der Rebellion, fing mit großer Verzögerung an. Viele Menschen wurden in der brütenden Hitze und mangels Trinkwasser ohnmächtig. Selbst ein General der Armee musste von freiwilligen Helfern des Roten Kreuzes betreut werden.
Daniel Deng Bol, ein freier Journalist, sitzt in seinem Büro und arbeitet an einem Artikel über die Zukunft seiner unabhängigen Heimat.
Er wundert sich über die Armee und die Polizei bei der Zeremonie. "Die mögen uns Journalisten nicht besonders. Meist haben wir Ärger mit ihnen, weil sie kein Verständnis für unsere Arbeit haben. Aber gestern waren sie höflich und nett. Ich frage mich, ob das Befehl war oder wegen der Schönheit dieses historischen Tages."
Aber Armee und Polizei waren überhaupt nicht in der Lage, das Podium mit den Staatsgästen gegen die herandrängenden Menschenmassen abzuschirmen. Die Militärparade hatte nicht einmal genug Platz, um ihre wochenlang geübten Formationen zu zeigen.
"Obwohl viel schiefging, war es ein wunderbarer Tag. Nie werde ich den Moment vergessen, als die Fahne gehisst wurde. Das werde ich immer wieder meinen Kindern und Enkeln erzählen", sagt der Journalist. "Aber jetzt gilt es, zu schreiben, was nach der Feier kommt. Im Alltag müssen wir beweisen, dass wir unsere Selbstständigkeit verdient haben."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
HTS als Terrorvereinigung
Verhaftung von Abu Mohammad al-Jolani?