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Der Streit um Saddams Erbe hat schon begonnen

Drei Tage lang konferierten irakische Oppositionsgruppen in der libanesischen Hauptstadt Beirut/ Auch die pro-westlichen Exilgruppen waren mit von der Partie/ Alle Augen richten sich auf Washington: Setzen die USA auf einen Militärputsch oder werden sie die Opposition unterstützen?  ■ Aus Beirut Leila Burhani

„Dieser Kongreß ist ein wichtiger Schritt zur Vereinigung der irakischen Opposition. Worüber ich mich besonders freue, ist die Atmosphäre der Toleranz und Verständigung zwischen den hier Versammelten. Wir sind hierhergekommen mit der Gewißheit, daß die letzten Stunden des Regimes in Bagdad geschlagen haben. Wir werden zurückkehren um einen demokratischen Irak aufbauen. Darin sind wir uns alle einig“, sagte Dr. Naziha Duleimi, ehemals Ministerin für Kommunale Angelegenheiten und die erste Frau im Irak mit einem Ministerposten.

Sie ist eine der TeilnehmerInnen des Kongresses der irakischen Opposition, der vom 11. bis 13. März im Beiruter Bristol-Hotel stattfand. Mehr als zwanzig Gruppen und etwa dreihundert Einzelpersonen waren diese Woche in die libanesische Hauptstadt gekommen, um über die Zukunft des Irak zu diskutieren. Aufgerufen zu dem Kongreß hatte die sogenannte 17er-Gruppe, ein Zusammenschluß von kurdischen, islamischen und linken Parteien mit Sitz in Damaskus.

Überraschungsgäste in letzter Sekunde

In letzter Sekunde waren auch noch die beiden von Saudi-Arabien und Großbritannien unterstützten Oppositionsgruppen, der „Freie Rat des Irak“ und die „Nationale Übereinkunft“, nach Beirut gereist. Das hatte allerdings erst der gemeinsamen Bemühungen des stellvertretenden syrischen Ministerpräsidenten Khaddam und des saudischen Prinzen Turki Abdel Aziz am Rande der Außenministerkonferenz der sechs Golfstaaten, Syriens und Ägyptens bedurft, die letzte Woche in Damaskus stattfand. Die saudische Regierung drohte der irakischen Opposition, den Geldhahn zuzudrehen, falls sie in Zukunft nicht gemeinsam marschiert.

Die von Riad unterstützte Opposition aus Stammesführern, wohlhabenden Geschäftsleuten und ehemaligen Mitgliedern der im Irak herrschenden Baath-Partei hatte darauf gehofft, daß die Alliierten sie alleine für die Nachfolge Saddam Husseins auserkiesen würden, ohne den Kuchen mit den anderen teilen zu müssen. Aber auch die Saudis wissen genau, daß ihre Favoriten keine Massenbasis innerhalb des Iraks haben.

In den drei Tagen, die die Konferenz dauerte, wurden viele Reden über Demokratie und Pluralismus gehalten, aber in Wirklichkeit nicht diskutiert. Die Weichen für künftige Zusammenarbeit wurden hinter den Kulissen gestellt, und da war man sich über wenig einig. Während die Linke und die meisten islamischen Gruppen fordern, daß die amerikanischen Truppen sofort das Land verlassen sollen, würde der Freie Rat Iraks die US-Soldaten am liebsten bis nach Bagdad marschieren sehen. Und während Kurden und Säkularisten in der Autonomie für Irakisch- Kurdistan die Minimalforderung für eine Lösung des Kurdenproblems sehen, gehören für die Islamisten alle zur Ummah, der einzigen und einigen islamischen Nation. Die vorgeschlagene Bildung einer Exilregierung wurde von den meisten Gruppen als verfrüht abgelehnt und auf einen möglichen späteren Zeitpunkt verschoben.

„Wie können wir Demokratie fordern, wenn wir nicht unter uns selber Demokratie praktizieren“, sagt nachdenklich Astera, die fünf Jahre lang als Peschmerga in Kurdistan gekämpft hat. Sie beklagt sich auch darüber, daß kaum Frauen an dem Kongreß teilnehmen. „Auch wenn die Opposition im Irak die Macht übernimmt, wird es lange dauern, bis der Irak ein demokratisches Land ist.“

Die Konferenz als eine Info-Börse

Der ganze Kongreß gleicht einem bunten Basar von Informationen, eine Erfolgsmeldung über den Aufstand in den südirakischen Städten und in Kurdistan im Norden des Landes jagt die nächste. Nachrichten über die Intifada, so wird der Aufstand in Anlehung an die israelisch besetzten Gebiete genannt, werden dementiert, Dementis werden widerrufen, und am Ende weiß niemand mehr, wem und was er eingentlich glauben soll.

„Die Irakis, die nach Kuwait geflüchtet sind und behaupten, Regierungstruppen hätten halb Basra wieder erobert, sind doch sowieso alles Saddam-Anhänger“, meint siegessicher der jugendliche Scheich Segheir vom Obersten Rat der Islamischen Revolution im Irak mit Sitz in Teheran. Es scheint fast so, als wollte jede Gruppe unter Beweis stellen, daß sie den Aufstand in der Hand hat, wobei sich die Mullahs der schiitisch-islamischen Splittergruppen, die in ihren weißen Turbanen und langen schwarzen Umhängen das Bild im Beiruter Bristol-Hotel prägen, besonders hervortun.

„Es kommt mir fast so vor, als sei jemand gestorben, und jetzt ist die ganze Verwandschaft angerückt, um sich gegenseitig das Erbe streitig zu machen“, sagt Mohammed, ein junger Konferenzteilnehmer. Aus der Tatsache, daß die Intifadah in den überwiegend von Schiiten bewohnten Regionen Südiraks begann, kann man noch lange nicht schließen, daß es eine schiitische Revolution sei, sagt Amr Abdallah, kommunistischer Ex-Minister. Ausschlaggebender Faktor war seiner Meinung nach die Niederlage der Armee. Der Aufstand begann in Basra, das bereits währnd des irakisch-iranischen Krieges schwer getroffen wurde und auch jetzt wieder die Stadt mit den meisten Zerstörungen ist. Hierhin zogen sich die kriegsmüden irakischen Soldaten aus Kuwait zurück, und sie brachten die ersten Nachrichten über das, was wirklich in Kuwait geschah. Die Handgranate aus einem der zurückkehrenden Panzer auf eine Statue Saddam Husseins war das Symbol zum Aufstand und nicht der Ruf zum Jihad. „Wenn schon kein Sieg gegen die Alliierten, dann wenigstens gegen den, der sie in die Niederlage führte.“

Auch Hadj Abu Bilal, Mitglied des Politbüros der Dawa-Partei, der einflußreichsten schiitischen Organsiation im Irak, äußert sich freimütig über die eigentlichen Ursachen des Aufstands: „Es war eine spontane Reaktion auf auf die Unterdrückung, denn es gibt keinerlei Freiheiten im Irak. Das Volk mußte irgendwann einmal explodieren. Wir hatten erwartet und gehofft, daß das früher geschehen würde.“ Die islamischen Gruppen, so fügt er hinzu, spielten allerdings im Aufstand eine besondere Rolle. Hinsichtlich den Befürchtungen über eine Islamische Revolution im Irak meinte Abu Bilal: „Der Westen täte gut daran, seine Meinung über den Islam zu ändern. Es gibt viele Facetten des Islam und die iranische ist nur eine davon. Und selbst diese ist heute rationaler als noch in den ersten Jahren nach der Revolution. Der Islam ist eine flexible Region, die sich schnell den neuen Bedigungen anpassen kann. Anders als Mohammed Bakr als Hakim, der von Teheran aus Erfolgsmeldungen über den Aufstand im Südirak lanciert, steht die Dawa-Partei der iranischen Führung distanziert gegenüber.

Der Kongreß hat sich hohe Ziele gesteckt. Die Welt soll Saddam Hussein jede Anerkennung versagen, heißt es in dem Schlußdokument, und statt dessen die Opposition als legitime Vertreterin des Irak anerkennen. Eine Reihe von Komitees zur Koordinierung der weltweiten Arbeit wurden gegründet. In drei Wochen soll ein Folgekongreß in Saudi- Arabien stattfinden, um über die politischen Perspektiven für die Zeit nach dem Sturz Saddam Husseins zu beraten. Eine Übergangsregierung aus allen Oppositionsparteien soll den Weg zu Wahlen in ein bis zwei Jahren vorbereiten.

Die Zukunft Iraks wird anderswo entschieden

Ob es dazu kommt, ist allerdings fraglich. „Ob es uns gefällt oder nicht, die Zukunft des Iraks entscheidet sich nicht in Beirut, sondern im Lande selber und in Washington“, sagt Amr Abdallah. „Außer in Kurdistan hat die Bewegung keine Führung und kein Programm. Die Opposition lebt im Exil und genießt in den Augen der Leute wenig Vertrauen. Sie werden uns sagen: ,Auf uns wurden die Bomben geworfen, während ihr draußen zugesehen habt‘.“ Die zweite große Unbekannte ist die US- Administration. Bisher weiß niemand, was die Regierung in Washington will. Die USA haben keine fertigen Pläne für einen Wechsel des Regimes, das sie bis zum 1. August noch unterstützten, und sie scheinen es auch jetzt nicht eilig zuhaben. Saddam Hussein sollte erst einmal die Kapitulation zu den Bedingungen der Alliierten unterzeichnen.

Manche auf dem Kongreß meinen, daß die USA und ihre Verbündeten versuchen werden, eine militärische Alternative zu Saddam zu suchen. Und Sunnit muß eine solche Person sein. In der Opposition haben anti-amerikanische Gruppen bislang noch die Oberhand. „Die Zukunft des Iraks wird vor allem von den Ergebnissen der Rundreise Bakers abhängen“, meint der Soziologe Issam Al Kahafaji, „Es gibt sogar Hinweise darauf, daß die USA in dem Fall, daß der Irak droht auseinanderzufallen, versuchen werden, einen geschwächten Saddam Hussein an der Macht zu halten.“

Antiamerikanische Gruppen überwiegen

Auch die Kurden scheinen sich auf alle Eventualitäten einzurichten. „Wir können nicht ausschließen, daß der Aufstand im Süden zusammenbricht“, sagt ein Vertreter der Kurdischen Front, der nicht genannt werden will. „Wir sind nicht in der Lage, den Aufstand alleine weiterzuführen. Falls uns Bagdad Garantien für eine Autonomie anbietet, werden wir das nicht ausschließen.“ Falls der Kongreß in drei Wochen in Saudi- Arabien tatsächlich eine Exilregierung wählen sollte, heißt das, Washington hätte grünes Licht zum Sturz Saddams gegeben.

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