piwik no script img

■ Der Soziologe Ulrich Beck will mit dem Konzept der „Bürgerarbeit“ die Krise der Arbeitsgesellschaft beheben. Doch das wird nicht funktionieren, weil Beck dabei die Verteilungsfrage ignoriertVeredelte Almosen

Na endlich! Man atmet unwillkürlich auf. Das Konzept des Münchener Soziologen Ulrich Beck, durch „Bürgerarbeit“ der Arbeitslosigkeit zu Leibe zu rücken, ist ein Vorschlag, der in Zeiten gesellschaftspolitischer Tristesse wie ein so notwendiges utopisches Versprechen anmutet. Ein großer Wurf offenbar und sympathisch dazu.

Doch man gerät auch schnell ins Grübeln. Kann das funktionieren? Zugespitzt besagt die Idee: Gemeinnützige, meist ehrenamtliche Tätigkeit wird als Arbeitsplatz definiert, doch zusätzliches Geld bekommen die Arbeitenden dafür nicht. So konstruiert allerdings, wird der von Beck entworfene „dritte Sektor“ das Problem der Erwerbslosigkeit nicht lösen.

Die drei Ausgangspunkte der Beckschen Analyse sind folgende. Erstens: Der Staat kann oder will heute vieles nicht mehr finanzieren, was er einst zu seinen vornehmsten Aufgaben zählte – Kinder- und Altenbetreuung, Bildung, Kultur, Infrastruktur aller Art. Infolge der öffentlichen Sparpolitik, der damit verbundenen Privatisierung, Auslagerung und Abwicklung ganzer Tätigkeitsfelder, aber auch durch das Aufkommen neuer sozialer Bedürfnisse entsteht zweitens ein immer größerer Bereich, in dem notwendige und sinnvolle Arbeit nicht erledigt wird. Sie bleibt liegen, obwohl grundsätzlich Nachfrage besteht. Andererseits gibt es drittens in der Bundesrepublik etwa sieben Millionen Menschen, die gerne arbeiten würden, böte man ihnen nur eine Tätigkeit an, die ein ausreichendes Einkommen garantiert.

In diese dreifache Lücke stößt der von Beck ersonnene sozial engagierte Kapitalist, der zum Beispiel weiß, daß eine kommunale Überlandbuslinie gestrichen wurde und manche Leute deshalb nur unter großen Schwierigkeiten zur Arbeit kommen. Er weiß auch, daß es auf den Dörfern Arbeitslose gibt, etwa die Eltern zweier Kinder, die zusammen mit einer Arbeitslosenhilfe von 2.100 Mark auskommen müssen – 525 Mark pro Kopf und Monat. Also kauft der „Gemeinwohlunternehmer“ mit städtischem Zuschuß ausgemusterte Busse, stellt die Mutter und andere Erwerbslose als FahrerInnen an und richtet die eingestellte Buslinie wieder ein.

Zusätzliches Geld bekommen die offiziell arbeitslosen ChauffeurInnen nicht – erhalten sie doch Arbeitslosengeld. Lohn genug ist ihnen die Freude, endlich wieder produktive Mitglieder der Gemeinschaft zu sein. Allenfalls zusätzliche Rentenansprüche mag ihnen Ulrich Beck zugestehen, außerdem Zertifikate über die neue Qualifizierung als BusfahrerInnen, ferner Urkunden und Ehrungen für ihre uneigennützige Tätigkeit.

Dem Staat wäre damit gedient, denn er spart das Geld für den Betrieb der Buslinie. Die Bevölkerung auf den Dörfern hat auch etwas davon: Für ihre Mobilität ist wieder gesorgt. Aber was sagt die erwerbslose Mutter und Busfahrerin dazu? Warum sollte sie mehrere Tage pro Woche arbeiten, ohne zusätzliches Geld zu verdienen? Möglicherweise ist sie Idealistin. Die meisten Menschen sind es nicht – zumindest dann nicht, wenn sie unter materiellem Mangel leiden. Fünf Stunden ehrenamtlicher Tätigkeit pro Woche mögen angehen, vielleicht auch zehn. Aber irgendwann möchte man doch ein bißchen mehr verdienen als die kärgliche Unterstützung vom Arbeitsamt, denn es macht auf die Dauer keinen Spaß, im Supermarkt jede Mark zweimal herumzudrehen. Beck denkt vom Staat aus und entwirft ein großes, kluges Modell – die Interessen der realen Menschen jedoch kommen dabei zu kurz.

„Belohnung statt Entlohnung“ lautet das Motto. Soll heißen: Die BürgerInnen haben mitnichten ein Recht auf Arbeit, sondern die Pflicht, sich für die Gemeinschaft nützlich zu machen. Wenn es Vater Staat paßt, kann er das verlangte Opfer belohnen, muß es aber nicht tun. Vor allem die Absicht, die Bezahlung geleisteter Bürgerarbeit in Anlehnung an die Ansprüche auf Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe zu regeln, führt in die Sackgasse. Das heißt doch: Wer schon Sozialleistungen erhält, bekommt kein zusätzliches Geld, egal, wieviel er für das Gemeinwohl schuftet. Und all die Leute, die sich ehrenamtlich in Kirchenkreisen, Obdachlosenprojekten, Bürgerinitiativen betätigen oder einfach nur drei Nachmittage in der Woche einem alten Nachbarn helfen, werden weiterhin nicht in den Genuß finanzieller Vorteile kommen, denn sie können ihren Lebensunterhalt ja offensichtlich auch ohne zusätzlichen Lohn bestreiten.

So schafft man nicht sieben Millionen neue Jobs, sondern betreibt Augenwischerei. Aus Ehrenamt wird Arbeitsplatz – diese eindrucksvolle Neudefinition kann die Krise der Arbeitsgesellschaft höchstens auf dem Papier lösen.

Kaum ist das Modell „Bürgerarbeit“ entwickelt, befindet es sich selbst schon in der Krise, weil die Verteilungsfrage ausgeklammert wird. Will die Gesellschaft zusätzliche Arbeit schaffen, müssen zusätzliche Mittel – über die Etats der Sozialversicherungen hinaus – mobilisiert werden. Wie kann die Gesellschaft neue Finanzierungsquellen erschließen und den vorhandenen Reichtum umlenken? An gesellschaftlichem Reichtum herrscht kein Mangel. Doch der Staat hat das notwendige Geld angeblich nicht, die Arbeitslosen haben es noch viel weniger. Wer besitzt es dann? Es liegt meist auf Privatkonten und ist in den Bilanzen vieler Unternehmen verborgen.

Bürgerarbeit steht und fällt mit einer neuartigen Finanzierung dieses Sektors informeller Arbeit. Hier bleibt Beck die notwendigen Antworten schuldig. Es dämmert ihm zwar, daß die transnationalen Konzerne ihren Beitrag leisten müßten – und sie seien auch bereit, das zu tun. Bis zum Beweis des Gegenteils allerdings muß diese Einlassung als mißglückter Versuch gewertet werden, notdürftig eine allzu offensichtliche Lücke im Konzept zu kaschieren. Schließlich geht es hier nicht um hunderttausend Mark, mit denen Daimler- Benz freiwillig und einmalig aus Imagegründen ein Jugendprojekt sponsert. Milliarden werden gebraucht – und zwar jedes Jahr aufs neue.

Wenn nicht zusätzliche Geldquellen institutionalisiert und verläßlich erschlossen werden, kann der dritte Sektor zwar weiter funktionieren wie bisher, aber niemals Millionen Menschen eine ausreichende Beschäftigung geben. Almosen und Belohnungen reichen dafür nicht. Hannes Koch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen