■ Mögliche Orte: Der Schweiß der anderen
„Die Raumbilder“, heißt es bei Siegfried Kracauer, „sind die Träume der Gesellschaft. Alles vom Bewußtsein Verleugnete, alles, was sonst geflissentlich übersehen wird, ist an ihrem Aufbau beteiligt.“ Nach dem Verlassen der engen Umkleidekabine, wir befinden uns in den „Thermen am Eurpacenter“, steht man nach ein paar Schritten in Plastikschlappen und im Bademantel inmitten eines solchen kollektiven Traums. Wie die Stufen einer antiken Arena die Bühne, umrahmt eine halbrunde Marmortreppe ein Schwimmbecken, an dessen Beckenrand Liegestühle in gleichmäßigem Abstand angeordnet sind. Trotz der Menschen, die hier schwimmen, dösen, lesen, umhergehen oder miteinander sprechen, ist die Lautstärke gedämpft, man neigt wie in einem Sanatorium zum Flüstern.
Die öffentliche Sauna ist ein bevorzugter Ort von Angestellten, die es genießen, den einstigen Begriff des Luxuriösen auf ihre Art zu besetzen. Hier perlt ihnen der Schweiß von der Stirn, den die Büroarbeit nicht mehr abverlangt. Die Schnelligkeit und Hektik der Straße sind einer übertriebenen, zur Schau gestellten Langsamkeit gewichen, und die Fähigkeit zur Muße ist erstes Saunagebot. Dezent angebrachte Hinweisschilder und Verbotspiktogramme regeln die nötigen Verkehrsbewegungen. Betreten des Saunabereichs mit Straßenschuhen ist verboten, und das Mitbringen von Lebensmitteln ist untersagt, ebenso sportliches Schwimmen im Saunabecken. Dabei befindet man sich nach ein paar Kraulzügen hoch über den Dächern Berlins. Wer wollte da nicht übermütig werden. Das Einhalten der Gebote gehört zum Common sense der Saunagäste wie die Anordnung, sich vorm ersten Saunagang gründlich zu säubern. Die Verhaltensregeln sind weniger lästige Pflichten eines Gemeinwesens, gehören vielmehr zum Ritual einer selbstverordneten Muße nach Feierabend.
Bereits unter der Dusche bewegen sich die Körper in einer demonstrativen Nacktheit, fortan regiert die Gleichheit entblößter Körper. Die Künstlichkeit des Interieurs, eine krude Mischung aus Almhütte und römischem Klassizismus, schürt jedoch den Verdacht, daß alles nur gespielt ist. Die zur Schau getragene Freizügigkeit ist eine falsche Fährte, die öffentliche Sauna ist in Wahrheit ein Kampfplatz der feinen Unterschiede im reglementierten Leben. Der Saunagänger mit Jahreskarte erkennt den Gelegenheitsbesucher mühelos an der behelfsmäßigen Ausrüstung, und am Beckenrand finden Vergleichsschauen in Körpersprache statt. Wer häufiger kommt, bewegt sich behender. Wie überall tapst der Neuling hilflos suchend durch den Raum.
Trotz aller Nacktheit ist die Abwesenheit von Sexualität eine unausgesprochene Übereinkunft. Die freie Entblößung findet im Schutz sittsamer Konventionen statt, ohne die Kriterien für Schönheit und Häßlichkeit aufzugeben. Sie sind die Koordinaten eines unterschwellig regierenden Verweisungssystems. Die Geschlechtsteile werden als modische Accessoires getragen, nicht als Vollzugsinstrument. In jedem U-BahnWaggon stauen sich mehr sexuelle Phantasien als hier, wo stolz die Beherrschung des Triebs als kollektives Schauspiel vorgeführt wird. In der Gewißheit, sich regelmäßig einen kleinen Luxus zu gönnen, bewegt man sich stolz im Habitus, nichts zu verbergen zu haben. Soziale Selektion ist bereits am Eingang durch den stattlichen Eintrittspreis betrieben worden. Man sucht mit voyeuristischer Gier nach der eigenen Stellung im Phantasieraum des müßigen Lebens.
Die Saunen selbst, jene hölzernen Schwitzkammern finnischer Bauart, befinden sich an den Rändern. Im Gegensatz zum großzügigen Schwimmraum sind sie sehr eng. Wie auf einer Hühnerleiter hockt eine Gruppe Büroangestellter, Männer und Frauen, auf ihren Handtüchern. An ihrem ungeniert lauten Sprechen erkennt man, daß sie regelmäßig kommen. Wie überall, so haben auch hier die Stammgäste eine Ordnung ungeschriebener Gesetze errichtet. Sie kennen den Saunameister beim Vornamen und besprechen mit ihm die Geschmacksnote des Aufgusses, den er mit künstlerischer Virtuosität zelebriert. In der Sauna herrscht der Klubgeist, der mit Vorliebe die Zeichen der „leisure class“ okkupiert. Harry Nutt
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