: Der Schlüssel zur Welt
Die Bildungschancen für Kinder von Geflüchteten in Deutschland sind abhängig von einemmöglichst frühen Zweitspracherwerb. Das stellt Kitas vor besondere Herausforderungen
Von Cordula Rode
Bei Kindern von Geflüchteten brauche es „sehr viel Fingerspitzengefühl und Zeit, um für jedes Kind die optimale individuelle Förderung zu finden“, sagt Caroline Heimann, Leiterin der „Kita Wannen“. Anders als die meisten Kitas arbeitet diese Kindertagesstätte der Lebenshilfe Witten von Anfang an, seit 1997, inklusiv – was damals noch „integrativ“ hieß und eine ziemliche Ausnahme war.
Inzwischen haben die meisten Kitas in Deutschland Erfahrungen in der Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund gesammelt. Studien belegen, dass der Zweitspracherwerb im Vorschulalter entscheidend dafür ist, dass die Kinder später gute Chancen im Bildungssystem haben und ihre Fähigkeiten in vollem Umfang nutzen können. Neben den individuellen kognitiven Fähigkeiten eines Kindes bilden besonders eine langfristige Bleibeperspektive und intensiver Kontakt mit der deutschen Sprache im Alltag die Basis für den Zweitspracherwerb.
Fachleute gehen davon aus, dass Kinder von Geflüchteten unter denselben Bedingungen auch im gleichen Maße wie Kinder mit Migrationshintergrund von der sprachlichen Förderung im Vorschulalter profitieren können. Die Lebenssituation dieser Kinder aber ist in den meisten Fällen sehr viel instabiler und geprägt von extrem belastenden Erfahrungen durch Krieg und Flucht. Dennoch belegt eine erste längerfristige Studie, dass auch Kinder aus Familien mit Fluchterfahrung sehr stark von der sprachlichen Förderung im Vorschulalter profitieren.
„ReGES – Refugees in the German Educational System“, eine groß angelegte Längsschnittstudie zu den Bildungsverläufen von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in Deutschland, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, zeigt, dass diese Kinder eindeutig einen hohen Nutzen durch den Besuch von Kitas haben – sowohl durch den verstärkten Kontakt mit der deutschen Sprache als auch durch strukturierte Förderprogramme. Allerdings besuchen nach der ReGES-Studie weniger als 80 Prozent der geflüchteten Kinder eine Kindertageseinrichtung. Ihre Quote bleibt damit deutlich hinter der anderer Gruppen Gleichaltriger zurück.
Als hilfreich erwies sich das 2016 gestartete bundesweite Förderprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“, das rund jeder achten Kita in Deutschland eine zusätzliche Fachkraft zur Verfügung stellte. Dieses Sonderpersonal wurde im Verbund von einer externen Fachberatung begleitet. 2023 endete dieses Förderprogramm allerdings, und die Fortführung ging in die Verantwortung der Länder über. Immerhin führt deren Mehrheit das Programm aus eigenen Mitteln oder Mitteln des Kita-Qualitätsgesetzes fort.
Nicht jede Kita aber braucht ein solches Programm, um Kinder optimal sprachlich fördern zu können. Bei der „Kita Wannen“ etwa gehörte „sprachliche Förderung von Anfang an zu den besonderen Schwerpunkten“, erklärt Leiterin Caroline Heimann. „Unterstützte Kommunikation“ mit Symbolkarten, Talkern und Gebärden, Sprach- und Singspiele, Logopädie und viele andere intensive Ansätze zum Spracherwerb helfen dabei nicht nur Kindern mit Behinderung, sondern im gleichen Maße Kindern mit Migrations- und vor allem Fluchthintergrund. Um zu beurteilen, ob ein Kind traumatisiert ist und/oder vielleicht eine Behinderung hat, ist es laut Heimann von Vorteil, wenn die Betreuer:innen ausreichend Erfahrung und hohe fachliche Qualifikation haben.
Zudem müsse auch immer der jeweilige kulturelle und persönliche Hintergrund mitgedacht werden, sagt die gelernte Heilpädagogin. „Es hat keinen Sinn, einem Kind mithilfe von Bildern die deutsche Bezeichnung für ‚Tomate‘ oder ‚Giraffe‘ beizubringen, wenn es beides nicht kennt.“ Wichtig sei auch die enge Zusammenarbeit und Kommunikation mit den Eltern, wobei deren Ziele oft nicht vorrangig auf die intellektuelle Förderung ihres Nachwuchses ausgerichtet seien, meint Heimann. „Die meisten Eltern wollen einfach nur, dass ihr Kind glücklich ist.“
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