■ Der SPD-Vorstand hat Gerhard Schröders Leitantrag "Innovationen für Deutschland" abgesegnet. Auch Parteichef Lafontaine mimt Zustimmung. Doch was da als neues Wirtschaftskonzept der Oppositionspart: SPD-Vorstand macht Schröder zum Programm
Der SPD-Vorstand hat Gerhard Schröders Leitantrag „Innovationen für Deutschland“ abgesegnet. Auch Parteichef Lafontaine mimt Zustimmung. Doch was da als neues Wirtschaftskonzept der Oppositionspartei verkauft wird, kann auch die Regierungskoalition in Bonn ohne mit der Wimper zu zucken unterschreiben.
SPD-Vorstand macht Schröder zum Programm
Mit großem Elan versucht die SPD, der Union den Rang als Wirtschaftspartei abzulaufen. Immer neue Thesen zum Standort Deutschland werden in Umlauf gebracht. Zwölf Thesen von Schröder, fünf von Lafontaine. Schafft's auch jemand mit drei? Doch während sich die Lafontaineschen Aussagen eindeutig von denen der Koalition unterscheiden, wirken Schröders Thesen zu einem großen Teil wie eine Bestätigung Kohlscher Politik.
Machen wir einen Test mit gegensätzlichen Aussagen:
„Privates Kapital meidet seit Jahren Deutschland als Investitionsstandort, weil hier die nominalen Steuersätze im europäischen Vergleich nicht wettbewerbsfähig sind.“ Sagt wer? Und wer ist statt dessen der Meinung: „Wenn der Export-Weltmeister ständig jammert, er sei nicht wettbewerbsfähig, ist das einfach lächerlich. Dieses Gejammere ist reine Interessenpolitik.“ Nehmen wir ein zweites Aussagenpärchen: „Im Zeitalter der Globalisierung brauchen wir dringend eine neue Wirtschaftspolitik, und das heißt für mich, vor allem internationale Zusammenarbeit.“ Sagt wer? Und wer meint dagegen: „Internationale Ansätze sind begrüßenswert, scheitern jedoch häufig an nationalen Egoismen.“
Das erste und das vierte Zitat sind von Kohl, die beiden anderen von Oskar Lafontaine? Knapp vorbei. Nummer eins und vier stammen von Kohls SPD-Pendant Gerhard Schröder. Und Schröder hat noch mehr anzubieten, was die Herzen der Koalitionspolitiker höher schlagen läßt — und auch deren Wähler. „Wir werden unsere sozialen Sicherungssysteme an die veränderte Organisation der Arbeitswelt anpassen.“ Und: „Wir werden die nach geltendem Recht schon möglichen Sanktionen bei der Ablehnung zumutbarer Arbeit voll ausschöpfen.“ Richtig, wird Helmut Kohl denken, sich aber möglicherweise Sorgen machen, daß ihm jemand als der bessere, weil jüngere und unverbrauchtere Kohl Konkurrenz machen will.
Die Süddeutsche Zeitung spricht angesichts von Schröders Rezepturen, wie Abbau staatlicher Regulierung, Forderung nach mehr Wettbewerb, Aufruf zu mehr persönlicher Eigeninitiative, von einem „bedeutenden Leitfaden“. Ungerecht, Herr Kohl, nicht wahr? Die Koalition ist für solche Vorschläge zuletzt nicht gelobt worden. Die Zeitung rühmt weiter: „Erstmals“ liege ein mit sozialdemokratischer Handschrift verfaßter Rahmen für wirtschaftspolitisches Handeln vor, der Aussicht habe, auf einen breiten Konsens zu stoßen“. Muß sich Lafontaine da nicht der Magen umdrehen?
Im Umkreis von Lafontaine versucht man die Schröder-Thesen herunterzuspielen. Was denn daran neu sei? Ein Vertrauter will lediglich „gewisse Überraschungseffekte“ ausgemacht haben. In der politischen Linie gebe es keine Unterschiede. Schröders Satz „Arbeit statt Arbeitslosigkeit fördern“ habe Lafontaine auch schon im Zusammenhang mit der Forderung nach mehr Teilzeitarbeit benutzt. Und wenn Schröder sage, „der Faktor Arbeit ist zu teuer“, heiße das nichts anderes, als daß die Lohnnebenkosten gesenkt werden müßten. Eine zentrale Forderung der SPD.
SPD-Parteilinke sind allerdings anderer Ansicht. Der Frankfurter Kreis, dem unter anderem der Bundestagsabgeordnete Detlev von Larcher angehört, kritisierte die „Kapitulation vor der Massenarbeitslosigkeit“. Die Vorschläge Schröders würden weder die Binnennachfrage noch Investitionen stärken. In der Tat läßt Schröder diesen Schwerpunkt Lafontainscher Politik so gut wie außen vor.
In einem Beschluß des SPD- Präsidiums vom 25. April 1996 heißt es: „Es fehlt die Binnennachfrage. Deswegen ist eine rein defensive, ausschließlich auf kurzfristige Kürzungen und Einschnitte ausgerichtete Politik Gift für Konjunktur und Arbeitsmarkt. Sie würgt die ohnehin schwache Konjunktur endgültig ab.“ Lafontaine fordert deshalb die Erhöhung des Kindergeldes und des Existenzminimums und hat nicht zuletzt daran eine Einigung über eine Steuerreform scheitern lassen. Schröder würde zwar nicht widersprechen. Aber in seine zwölf Thesen ist diese zentrale Argumentation nicht eingeflossen.
Lafontaine hat sich nun mit einem Fünf-Punkte-Programm zu Wort gemeldet. Es handelt sich dabei ausschließlich um alten Wein in einem neuen Schlauch: Senkung der Sozialversicherungsbeiträge; Steuerentlastung für Arbeitnehmer und Familien; Förderung der Investitionskraft der Unternehmen; Stärkung von Forschung, Bildung und Wissenschaft; Ausbau Teilzeitarbeit. Fürchtete Lafontaine, im frischen Ruhm Schröders als Erneuerer der SPD unterzugehen? Oder wollte er doch bewußt andere Akzente setzen? Offiziell macht er gute Miene zum bösen Spiel. Wie schon bei Schröders Thesen zur Inneren Sicherheit mimt er Übereinstimmung. Auf die Frage des Hamburger Abendblattes, ob die SPD hinter dem Schröder-Papier stehe, antwortet der Saarländer mit: „Ja. Die SPD- Spitze ist sich einig.“ Doch er bestätigt nur, was bei der SPD seit Jahren ohnehin unumstritten ist. So nennt er die Forderung nach einer Innovationsoffensive, geht über zur Modernisierung des Staates und schließt mit der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital. Das würde auch die Koalition ohne Wimpernzucken unterschreiben.
Haben die jüngsten Diskussionen um den Wirtschaftskurs der SPD also in Wirklichkeit nichts Neues gebracht? Bindet Lafontaine seinen Herausforderer durch Interpretationsgeschick in die alte SPD-Linie ein? Oder muß er doch zähneknirschend einen Kurswechsel zu mehr sozialen Einschnitten und wirtschaftsorientierterer Politik zulassen?
Gestern hat sich der SPD-Vorstand mit dem Leitantrag „Innovation für Deutschland“ auseinandergesetzt. Federführend waren außer Schröder die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Anke Fuchs und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner. Und siehe da: Diesmal ist auf 25 Seiten sogar ganz konkret Raum für eine moderate Ökosteuer vorgesehen. Dennoch geht es, wenngleich vorsichtig formuliert, auch darum, die „Zielgenauigkeit sozialer Transferleistungen zu erhöhen“.
Eins hat Schröder auf jeden Fall erreicht: Bei vielen Menschen wird hängenbleiben, daß er sich als Vorreiter für neue Ideen profiliert hat. Und Lafontaine hat genickt. Ist damit die Vorentscheidung über den SPD-Kanzlerkandidaten gefallen? Markus Franz, Bonn
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