Der Rückzug des Johannes Kahrs: Ein SPD-Strippenzieher gibt auf
Johannes Kahrs hat viele Gesichter: Machtmensch, Lobbyist, Politiker, Bundeswehrfan und Antifaschist. Nun beendet er seine Karriere.
„Genetisch vorbelastet“ sei er, scherzt der Sohn des ehemaligen Bremer Justizsenators Wolfgang Kahrs und der früheren Bremer Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs. Bis zu seinem plötzlichen Abgang von der politischen Bühne am Dienstag galt Kahrs als Netzwerker und Strippenzieher par exellence, als graue Eminenz der Hamburger SozialdemokratInnen, der aus dem Hintergrund stets mitregierte und der in der Hamburger SPD einen eminenten und auf der Berliner Bühne einen großen Einfluss hatte.
Aus dem Kreis Hamburg-Mitte und seinem Berliner Büro heraus steuerte der langjährige Vorsitzende des parteirechten Seeheimer Kreises, den Kahrs gerne als die wahre SPD bezeichnete, seine Aktivitäten. „Krake“ oder „Krebsgeschwür“ sind die Vokabeln, die seinen GegnerInnen zum „System Kahrs“ einfallen. Seine FreundInnen aber nennen sich nur die „Kahrsianer“ – viele von ihnen haben als PraktikantInnen in seinem Hamburger Wahlkreisbüro angefangen und dann die Hamburger SPD Wahlkreis für Wahlkreis infiltriert.
Die Karriere von Kahrs ist von Skandalen geplastert
Kahrs ist in vielen Vereinen, Gesellschaften, Bünden – oft an führender Position. Das gehört zu seinem Netzwerk-System. Er ist Mitglied der studentischen Verbindung „Wingolfbund“, leistete Wehrdienst, ist Oberleutnant der Reserve und gilt als Förderer und Geförderter der Rüstungsindustrie, die mindestens einen seiner erfolgreichen und als Materialschlacht daherkommenden Bundestagswahlkämpfe mitfinanziert hat.
Einer der vielen Skandale, die den Aufstieg von Kahrs begleiteten, endete mit einer Fangschaltung. Anfang der neunziger Jahre hatte er eine innerparteiliche Konkurrentin mit anonymen nächtlichen Telefonanrufen bedroht, mit den Worten „Ich krieg dich, du Schlampe“.
Wegen seiner engen Verbindung zum Militär wähnte Kahrs, der immer wieder betont, „wie sehr ihm die Bundeswehr am Herzen liegt“, sich als prädestiniert für das Amt des Wehrbeauftragten. Auch wegen dieser Verbindung ist er allen Linken verhasst.
Für Hamburg eiste der langjährige Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der oft eher Lobbyist als Politiker war, Millionen für Projekte wie das Deutsche Hafenmuseum oder den Fernsehturm los. Und es gab eins, was auch seine GegnerInnen an Kahrs sehr schätzten: Er zeigte immer klare Kante gegen rechte Umtriebe, vor allem gegen die AfD. Den Rechten war er ebenso verhasst wie den Linken, und sie überzogen ihn in den sozialen Netzwerken mit Schmähungen.
Nachfolge noch ungeklärt
Auch wenn es in den vergangenen Jahren etwas ruhiger um Kahrs geworden war, so nahm sein Einfluss in der Hamburger SPD eher wieder zu – was mit dem Abgang des Mannes zu tun hat, dem es als Einzigem gelungen war, Kahrs zu domestizieren. Sein Name: Olaf Scholz. Neben Finanzsenator Andreas Dressel und Parteichefin Melanie Leonhard galt Kahrs bis Dienstag als einflussreichster Politiker in der Hamburger SPD.
Für seine Nachfolge als Kreischef der SPD-Mitte kommen nur Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit und Bezirksamtschef Falko Droßmann, beide enge Kahrs-Verbündete, infrage. Klar aber ist auch: Der Machtmensch Kahrs ist nicht eins zu eins zu ersetzen. Seine Macht müsse nun, sagt ein Kahrsianer,, „auf mehrere Schultern verteilt werden“, während die Kahrs-GegnerInnen hoffen, dass „diese innerparteilich starke Gruppe nun in mehrere Teile zerfällt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf