Der Mann mit den Pillen

Auch wenn Medien es bisher häufig übersehen: Elon Musk ist rechtslibertär. Und seine Einstellung wird immer extremer. Eine Beweisführung

Zählt sich selbst zur Elite: Elon Musk Foto: Fo­to: Justin Lane/epa

Von Tatjana Söding

Elon Musk ist auf dem Weg, zu einer historischen Figur heranzuwachsen. Seit Langem für sein rabiates Unternehmertum und seinen visionären Geist von BWL-Absolvent*innen gefeiert, ist Musk spätestens seit der Übernahme von Twitter und dem Rebranding zu X für jede Laie ein Begriff. Die Mitte September veröffentlichte Biografie über Musk aus der Feder eines der bekanntesten Autoren des Feldes, Walter Isaacson, brachte den reichsten Mann der Welt nun wieder einmal auf die Titelseiten – etwa die des Stern. Neu an Isaacson Werk: Er stellt Musk nicht nur als Pionier dar, sondern malt das Bild eines impulsiven, empathielosen Menschen mit Drang nach kompletter Kontrolle und tiefer Ablehnung von Regeln und Normen. Dabei gibt er einen Einblick in seine politischen Einstellungen, die sich immer mehr in eine extreme Form des Rechtslibertarismus entwickeln.

Die Debatte darüber, wie diese Einsichten den Umgang mit Musk beeinflussen sollten, blieb im deutschsprachigen Raum jedoch weitestgehend aus. Musk selbst zwang sie wenig später auf: Ende September teilte er einen Tweet, in dem sich ein X-Nutzer kurz vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen für die AfD starkmachte. Sei sich die „deutsche Öffentlichkeit“ darüber im Klaren, fragte Musk, dass acht deutsche Schiffe zu diesem Zeitpunkt Mi­gran­t*in­nen aus dem Mittelmeer retten würden? Der Tweet ging viral, und selbst das Auswärtige Amt lieferte sich auf X einen­ Schlagabtausch mit Musk, worauf hin er Seenotrettung als Invasion beschrieb. Das überraschte Entsetzen, mit dem auf Musks rechte Hetze in Deutschland reagiert wurde, ist bezeichnend dafür, wie sich Musk hinter der schillernden Fassade des genialen Unternehmers in den letzten Jahren fast unbemerkt zu einem Verfechter des Rechtslibertarismus entwickelt hat; unbemerkt besonders für jene, die weiterhin mit Musk Geschäfte mache wollen.

Rechtslibertäre wie Musk sind Ver­tre­te­r*in­nen einer absoluten individuellen Freiheit, die sich maßgeblich auf das Recht auf Privateigentum und uneingeschränkten Warenverkehr beruft. Privates Kapital regiert die Welt Rechtslibertärer, der Staat ist ihnen mit seinen regulierenden Funktionen traditionell ein Dorn im Auge und sollte, wie es auch Musk immer wieder betont, darauf beschränkt sein, das Recht auf privates Eigentum und „selbstbestimmtes“ Handeln zu sichern.

So widersetzte sich Musk etwa im Mai 2020 den offi­ziellen Coronaverordnungen Kaliforniens, um in der Tesla-Fabrik in Fremont die Produktion trotz Pandemie wieder aufzunehmen. Donald Trump gab ihm Rückendeckung; zwei Arbeiter*innen, die sich entschieden, unbezahlte Freistellung zu nehmen, um sich dem Gesundheitsrisiko nicht auszusetzen, wurden fristlos entlassen.

Auch in der Tesla-Fabrik in Grünheide werden Arbeits- und Umweltschutzauflagen mutmaßlich ignoriert, um die Effizienz der Produktion in die Höhe zu treiben. Das zeigte zuletzt eine Stern-Reportage.

Anfang September 2023 reichte die X-Kooporation Klage gegen Kalifornien ein: Die neue Transparenzregulierung des Bundesstaates würde das Recht der freien Meinungsäußerung bedrohen und die Betreiber sozialer Medien dazu zwingen, die Ansichten des Staates eins zu eins zu übernehmen. Tatsächlich sieht die Regulierung lediglich vor, dass die Plattformen ihre Richtlinien für die Kontrolle von Desinformation, Belästigung, Hassreden und Extremismus veröffentlichen. Doch Musk möchte keinerlei Kontrolle abgeben. Erst recht nicht, um das vermeintlich linke Ziel der Eingrenzung von Hass und Hetze online voranzutreiben.

In der extrem-rechten Version des Libertarismus, die Musk immer offensichtlicher bewirbt, wird die individuelle Freiheit nicht nur durch den Staat eingeschränkt und bedroht, sondern auch durch die Minderheiten, deren Rechte er beschützen soll.

„Nehmt die Rote Pille“ riet Musk im Mai 2020 auf dem damaligen Twitter. Die „rote Pille“ wird seit langem in neu-rechten Kreisen als Metapher für die „harte Wahrheit“ verwendet; dem Großteil der Bevölkerung, der sich gegen die rote Pille entscheidet, lebt, so das Narrativ, in seliger Unwissenheit vor den „wirklichen“ „eigentlichen“ Machtmissbräuchen und Unterdrückungsmechanismen: der Großen Austausch, Rassismus gegen Weiße, orchestrierte Offensiven gegen weiße Männer.

Musk kämpft mittlerweile in den ersten Reihen der Internetkrieger, diese „Wahrheiten“ zu verbreiten. Im Februar diesen Jahres geriet der Comiczeichner Scott Adams in massive Kritik, weil er Afro­ame­ri­ka­ne­r*in­nen als eine „Hassgruppe“ beschrieb und „weißen“ riet, sich fernzuhalten. Musk gab ihm auf Twitter Rückendeckung: „Die Medien“ würden Rassismus gegen „weiße und Asiat*innen“ ausüben. Dass es überhaupt einen Rassismus gegen weiße gibt, ist eine gefährliche rechte Falschkonzeption. Zwar mag es individuelle Diskriminierung geben, doch keinerlei historische, institutionelle oder strukturelle Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihrer weißen Hautfarbe. Musk versieht aber auch die Posts von Neonazis, etwa jene des Iren Keith Wood, die weiße, europäische Verantwortung für den Kolonialismus leugnen, regelmäßig mit „gefällt mir“.

Im Mai streute Musk zahlreiche Tweets, die die nachweislichen rechtsextremen Motive und Verbindungen des Attentäters anzweifelten, der acht Menschen in einer Shoppingmall in Texas niedergeschossen hatte. Von X möchte er die Beschreibung „cis“ und „cisgender“ als Verleumdung bannen.

Sein Favorit bleibt jedoch: die Verschwörungserzählung vom „Großen Austausch“. So würden etwa die Vereinigten Staaten aufgrund fallender Geburtenraten ein „demografisches Desaster“ erleben. Musk ermutigt reiche und „intelligente“ Menschen in seinem Umfeld immer wieder, mehr Kinder zu bekommen, um so die Zivilisation vor einem Bevölkerungskollaps zu retten. Obwohl die Geburtenrate in weiten Teilen der Welt doch steigt. Welche Zivilisation Musk „retten“ möchte? Vermutlich eine weiße, elitäre. Bei einem Treffen mit Katalin Novák, der ungarischen Staatspräsidentin und Parteifreundin des autoritären Viktor Orbán, machte Musk deutlich, dass er und die pro-natalistische, migrationsfeindliche und LGBTQI-Rechte einschränkende ungarische ­Regierung gemeinsam ­gegen den „Zivilisationskollaps“ kämpften.

Auch Musks Liebe gegenüber seinen eigenen zehn Kindern stehen seine neurechten Einstellungen im Weg. So brach seine tansgender Tochter Vivian Jenna Wilson medienwirksam im Juni letzten Jahres mit ihrem Vater. Schnell fand Musk Verantwortliche: Wilson sei an ihrer Schule in Santa Monica mit dem „Woke-mind“-Virus infiziert worden. „Neo-Marxisten“ hätten, so Musk in Anlehnung an eine weit verbreitete Erzählung im Kulturkampf der US-amerikanischen Rechten, „Eliteschulen und liberale Universitäten eingenommen, um ihren Schülern beizubringen, reiche Menschen zu verachten“.

Musk kämpft mittlerweile in den ersten Reihen der Internetkrieger

Twitter, schreibt Biograf Isaacon, sei laut Musk „von ­einer ähnlichen Mentalität infiziert worden“, die „rechte und Anti-Establishment-Stimmen“ auf der Plattform unterdrücke. Musk bewirbt X jetzt als Ort, an dem jede Einzelne durch das Teilen von Videos zur „Bürgerjournalistin“ wird, und macht auch gleich vor, was er sich darunter vorstellt: Mit einem Cowboyhut machte sich Musk einige Tage vor dem migrationskritischen, an Deutschland gerichteten Tweet auf, um am Grenzübergang „Eagle Pass“ Mi­gran­t*in­nen und die „Krise an der Grenze“ zu filmen.

Doch Musks politisches Handeln findet nicht nur auf Twitter statt. Seit 2002 unterstützt Musk Po­li­ti­ke­r*in­nen der Demokraten und der Republikaner mit saftigen Finanzspritzen. Musks Skepsis gegenüber dem Staat ist, wie es für Rechtslibertäre typisch ist, dem eigenen marktwirtschaftlichem Vorteil untergeordnet. Teslas Wettbewerbsfähigkeit ist abhängig von einer ganzen Reihe an staatlichen Subventionen und Regulationen für die E-Mobilität; SpaceX finanziert sich maßgeblich durch öffentliche Auftraggeber wie die Nasa. Mittlerweile wendet er sich jedoch stringent von den Demokraten ab und nutzt X, um Wahlkampf für die Republikaner zu machen; Floridas Gouverneur Ron DeSantis kündigte seine seine Präsidentschaftskandidatur für 2024 etwa im Livestream mit Musk an. Auch DeSantis’ Konkurrent, Vivek Ramaswamy, der in den Staaten als „anti-woker Kreuzritter“ bekannt ist, nannte Musk auf X einen „vielversprechenden Kandidaten“. Ramaswamy leugnet den Klimawandel stringent, möchte Unternehmen unter Druck setzten „mehr zu bohren und mehr zu fracken“, und dem Kryptosektor Rückendeckung geben – ganz nach Musks Geschmack.

Auf juristische Mittel greift Musk gern zurück, wenn sie zu seinem Vorteil eingesetzt werden können. So erhob Musk im August Klage gegen ein Forschungsinstitut, das mit Zahlen belegte, dass auf Twitter/X seit Musks Übernahme rechte Hetze stärker verbreitet ist: Unter anderem wolle es Nutzer*innen, mit deren Meinung man nicht übereinstimme, zum Schweigen bringen. Tatsächlich liest sich der Vorwurf eher wie eine Selbstbeschreibung der eigenen Strategie, Linke und Progressive zu bekämpfen.

Doch auf derlei Vorwürfe reagiert Musk nur mit dem Mythos, den er um sich gebaut hat: „Ich habe einen großen Teil meines Lebens damit verbracht, nachhaltige Energie, Elektrofahrzeuge, Batterien und Solaranlagen zu bauen, um die Umwelt zu retten. Das ist nicht gerade rechtsextrem“, verteidigte er sich etwa im April 2023. Leider ist genau dieses Image einer älteren Version Musks noch zu präsent unseren Köpfen.