Der Rabin-Mord und die jetzigen Proteste: Nur eine Eintagsfliege
Die Protestbewegung in Israel arbeitet sich an Netanjahu ab und klammert den Friedensprozess mit den Palästinensern aus. Das ist kurzsichtig.
A m Abend des 4. November 1995, kurz bevor ein nationalreligiöser Extremist den damaligen Ministerpräsidenten und Architekten des Friedensprozesses Jitzchak Rabin ermordete, versammelten sich in Tel Aviv mehr als Hunderttausend Israelis für den Frieden. Damals spaltete der Friedensprozess die Gesellschaft. Auch zurzeit gehen wieder Zehntausende auf die Straßen. Sie warnen vor dem Untergang der Demokratie, vor einer Delegitimierung des Justizsystems und fordern den Rücktritt des wegen Korruption angeklagten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
Alle, die nun die Demokratie vor ihrer Aushöhlung bewahren wollen, übersehen das Offensichtliche: den Friedensprozess mit den Palästinenser*innen. Die derzeitige Protestbewegung klammert das Thema aus, obwohl ein Großteil ihrer Mitglieder die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit den Palästinenser*innen wohl befürworten würde. Zugegeben, das Thema Frieden führt in Israel oft zu Konflikten. Möglicherweise haben die Demonstrant*innen das Gefühl, dass sie sich eine solche Spaltung nicht leisten können.
Die Vermeidung dieses existenziellen Themas schwächt jedoch die Bewegung. Sie droht eine Eintagsfliege zu bleiben. Spätestens mit einem Abgang Netanjahus würde sie sich in Luft auflösen, obwohl aller Voraussicht nach ein Politiker wie der Groß-Israel-Befürworter Naftali Bennett folgen würde. Die Besatzung würde weitergehen, der Friedensprozess brachliegen.
Den Elefanten im Raum sichtbar zu machen und Friedensbemühungen mit ins Programm aufzunehmen würde die derzeitige Protestbewegung nachhaltiger und überzeugender machen. Zumal diejenigen, die am Abbau der hiesigen Demokratie werkeln, auch diejenigen sind, die vernünftige Verhandlungen mit den Palästinenser*innen verhindern. Mit dem Thema Frieden auf der Fahne könnte die Protestbewegung ein ernst zu nehmender politischer Akteur werden, der dem derzeit übermächtig scheinenden rechten Konsens etwas entgegensetzt.
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