Der Preis der Selbstbestimmung: Armut und Erdbeeren

Zu machen, was man möchte, ist ein Privileg, meint unsere Autorin. Selbst wenn es bedeutet, wenig Geld zu haben.

Gegenstände auf dem Gehweg mit einem Schild "zu verschenken"

Viele Dinge sind zuviel und werden nicht mehr gebraucht Foto: Robert Michael/dpa/picture alliance

Im Moment habe ich wenig Geld, und deshalb gebe ich auch wenig aus. Es ist nicht schlimm, ich bin es gewohnt. Die Art, wie ich lebe, führt dazu, dass ich immer wieder mit wenig bis sehr wenig Geld auskommen muss.

Es kommt darauf an, kreativ und fröhlich damit umzugehen, aber das zu können ist auch ein Privileg. Weil ich einer Arbeit nachgehe, die ich frei gewählt habe und die mich erfüllt, fühle ich mich privilegiert.

Müsste ich den ganzen Tag lang einer Arbeit nachgehen, die ich lieber nicht machen würde, die mich verbiegen, mich körperlich und seelisch auslaugen würde, empfände ich die Armut als bitter. Wofür opferte ich den größten Teil meines Lebens, wenn nicht für das bisschen Freiheit, wenigstens in meiner Freizeit so leben zu können, wie ich es mir wünsche?

Wohnen nimmt den größten Teil meines Einkommens und auch das meiner Kinder, die für ihr Studentenzimmer so viel ausgeben wie ich für meine Genossenschaftswohnung. Lebensmittel nehmen einen anderen größeren Teil, essen muss man, genau wie wohnen, und ich esse jetzt oft Kartoffeln und Zwiebeln und Kohl und Karotten und Äpfel. Lauter Dinge, die immer noch, im Verhältnis, wenig kosten.

Im Bioladen unbezahlbar

Lebensmittel, die gesund sind und wenig kosten, gibt es. Es sind nur nicht sehr viele, und die Rezepte in Kochbüchern erfordern immer ausgefallene Details, eine Prise hiervon, eine Prise davon, und diese Prisen sind dann teurer als das, was einen satt macht. Statt gerösteter Pinienkerne, die im Bioladen unbezahlbar sind (für mich, der Preis ist sicher angemessen), röste ich schon lange Sonnenblumenkerne. Spargel lasse ich aus, Erdbeeren habe ich in diesem Jahr schon zweimal gegessen.

Es gab Zeiten, da aß ich in der Erdbeersaison jeden Tag ein Schälchen. Aber es geht mir darum nicht schlecht, ich esse immer noch gut, auch ohne Erdbeeren und Spargel. Ich teile mir den Tag frei ein, und wenn ich Lust habe, gehe ich im Park laufen, und das kostet mich nichts.

Alles andere, Kleidung, Geschirr, Schnickschnack, das gibt es überall fast für umsonst. Unsere Gesellschaft ist so voller Überfluss, produziert so viel zu viel, dass die Dinge einfach keinen Wert mehr besitzen.

An jeder Straßenecke gibt es eine „Zu-verschenken-Kiste und teilweise ganze Zu-verschenken-Häuschen. Vor den Mülltonnen in unserem Innenhof stehen Kartons mit Dingen, die vielleicht noch jemand haben will, bevor sie weggeworfen werden. Auf Ebay, auf der Straße, in den Kleiderkammern der Obdachlosenhilfe, wie werde ich das Zeug los, ohne es wegzuwerfen?

Denn wegwerfen fühlt sich nicht so gut an. Das will man nicht mehr. Aber nicht einmal das Verschenkte findet noch ausreichend Abnehmer*innen. Es bleibt liegen, insbesondere Kleidung wird nass und schmutzig, schließlich zu Müll.

Das System erbricht sich, denn es ist vollgefressen und jetzt erbricht es sich. Es sind erst kleine Häufchen, aber es wird mehr, und bald werden Berge vor den Häusern liegen, und wir werden darüber hinwegsteigen, werden uns Wege bahnen, zwischen den Dingen hindurch, die niemand mehr haben will, wir werden zahlen, dafür, dass jemand die Dinge wieder abholt, die jemand anderes uns geliefert hat, und am Ende werden wir im Schatten dieser Haufen leben, im Schatten dieser riesigen, häuserhohen Haufen von Dingen, die wir nicht brauchen, die uns belasten und die kein Mensch auf der Erde mehr haben will.

Niemand wird dann mehr etwas geschenkt haben wollen – es sei denn, es ist kein Gegenstand.

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