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Der Pfarrer als Sympathisant

Wie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Prozeß gegen Birgit Hogefeld die siebziger Jahre aufleben läßt und einen Pfarrer für einen geheimen Briefträger der RAF hält  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Der Vorgang, darüber herrscht Einigkeit, ist juristisch nicht zu beanstanden. Und trotzdem wirft er ein grelles Licht auf die Umstände eines Prozesses, der schon lange keine Schlagzeilen mehr macht. Birgit Hogefeld, vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/ Main wegen mehrfachen Mordes und Mordversuchs angeklagte ehemalige RAF-Aktivistin, bat Pfarrer Hubertus Janssen um ein „seelsorgerisches Gespräch“. Der stellte bei Gericht einen Antrag auf Besuchserlaubnis. Das war Anfang Juni.

Man tritt der Angeklagten wohl nicht zu nahe, wenn man unterstellt, daß es kein unvermittelter Anfall von Frömmigkeit war, der die Revolutionärin um Beistand an höherer Stelle bitten ließ. Und man tut Hubertus Janssen nicht unrecht, wenn man ihn als nicht ganz durchschnittlichen Pfarrer tituliert. 18 lange Berufsjahre übte Janssen seinen Beruf als Gefängnisseelsorger aus. Länger als eine Dekade betreute er Gefangene, die Haftstrafen wegen terroristischer Straftaten verbüßen. Auch nachdem ihm der Bischof von Limburg 1990 die Pfarrei St. Antonius im Limburger Stadtteil Eschhofen übertrug, blieb Janssen ein engagierter, seelsorgerischer Anwalt der RAF-Gefangenen. Gleichzeitig wurde er Vorstandsmitglied des angesehenen Komitees für Grundrechte und Demokratie.

Seit November 1994, als der Prozeß gegen Birgit Hogefeld in Frankfurt eröffnet wurde, gehört Janssen zu den wenigen Personen, die das Mammutverfahren beharrlich und freiwillig (für das Grundrechtekomitee) verfolgen. Gelegentlich versucht er, die Öffentlichkeit für Besonderheiten und Merkwürdigkeiten dieses Prozesses zu interessieren. So etwa im März, als das Gericht Birgit Hogefeld mit körperlicher Gewalt zu einer Zeugengegenüberstellung zwingen ließ. Damit, echauffierte sich Janssen damals gegenüber dem Gerichtsvorsitzenden, habe der Senat einem fairen, rechtsstaatlichen Verfahren „gröblich zuwidergehandelt“ und gegen „Menschenrechte und Menschenwürde“ der Angeklagten verstoßen.

Pfarrer als zweifelhafte Figur aus der Terrorszene

Am 18. Juli entschied der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts über den Antrag, den Janssen in freundlicher, fast unterwürfiger Diktion sieben Wochen zuvor formuliert hatte. Tenor des Beschlusses: Der „Sonderbesuch ohne Trennscheibe“ wird abgelehnt, „eine Besuchserlaubnis der üblichen Art erlaubt“. Das hätte als etwas kleinliche Retourkutsche des Gerichts gegen einen Mann durchgehen können, der sich öffentlich unfreundlich über den Senat geäußert hatte. Doch schon der erste Satz der Beschlußgründe straft eine solche Interpretation Lügen. Folgendes glaubte der Beisitzende Richter Dr. Klein dem Pfarrer Janssen, der um ein „seelsorgerisches Gespräch“ nachgesucht hatte, ins Stammbuch schreiben zu müssen: „Da der Antragsteller, der sich als ,Pfarrer‘ bezeichnet, nicht als solcher in der Haftanstalt tätig ist, gehört er zum Kreis der anstaltsfremden Personen.“

So geht es weiter. Fröhlich outet das Gericht den „Antragsteller“ als zweifelhafte Figur aus der Terrorszene. Seelsorge könne der angebliche Pfarrer im übrigen auch durch die zentimeterdicke Trennscheibe und im Beisein eines Beamten des Landeskriminalamts betreiben. Andernfalls sei zu befürchten, daß Janssen „einen nicht überwachten Besuch bei der Angeklagten dazu mißbrauchen würde, sie gegen den Senat aufzubringen und ggf. auch einen Nachrichtenaustausch zwischen ihr und anderen RAF-Mitgliedern zu betreiben“.

Der Beschluß samt Begründung blieb einem breiten Publikum zunächst verborgen. Inzwischen allerdings verfaßte der Berliner Politologe und derzeitige Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Wolf-Dieter Narr, eine geharnischte, öffentliche Antwort. „Schlicht und einfach unverschämt“ nennt Narr darin die Beschlußbegründung des Gerichts. „Sie haben nicht nur offenkundig Frau Hogefeld schon vorverurteilt, sie vorverurteilen auch diejenigen sozusagen qua Kontaktschuld, die sich [...] um in U-Haft genommene Menschen kümmern und mit darauf achten wollen, daß politisch getönte Strafverfahren demokratisch-rechtstaatlichen Prinzipien strikt entsprechen.“ Damit komme Dr. Klein „als zuständiger Richter in diesem Verfahren [...] nicht mehr in Frage“.

Bischöfliches Ordinariat protestiert gegen Gericht

Anfang der Woche protestierte auch das Bischöfliche Ordinariat Limburg „mit Entschiedenheit“ gegen die ungewöhnlichen Einlassungen des hohen Gerichts. Der Protest richtete sich insbesondere gegen die „Unterstellung“, Janssen fungiere in Wirklichkeit als geheimer Briefträger der abgetauchten Untergrundtruppe. Der Verfasser der Ehrenerklärung ist der persönliche Referent des Limburger Bischofs Franz Kamphaus, Hanno Heil.

Birgit Hogefelds Anwältin Ursula Seifert rief die Öffentlichkeit nach der Janssen-Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt eindringlich auf, „das Verfahren kontinuierlich und aufmerksam kritisch zu begleiten“. Der derzeit unterbrochene Prozeß soll am 6. November fortgesetzt werden. Verhandelt wird der Sprengstoffanschlag der RAF auf den Gefängnisneubau Weiterstadt – unter Anwesenheit eines Dr. Klein, der sich als „Richter am Oberlandesgericht“ bezeichnet.

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