■ Bonn apart: Der Ohrenbär
Es gibt da ein Buch. Zu dem greifen wir immer dann, wenn wir Menschen beurteilen wollen. Bundeskanzler Helmut Kohl zum Beispiel.
Andere würden ihn beim Zubinden seiner Schnürsenkel im Stehen beobachten. Aber da ist ja dieses Buch: „Was Ohren verraten“. Professor Walter Hartenbach ergründet, was das Ohr über die Seele verrät. Kohls Ohr „ist groß, aber auch auffallend schmal, dabei dickfleischig, mit angewachsenen, abnorm breiten, bandförmigen Ohrläppchen“. Davon kann sich jeder überzeugen, auch wenn er noch nie in dem Spiegelglasschränkchen in Kohls Badezimmer gesessen hat. Nach Hartenbach muß Kohl als „eigensinnige, herrschsüchtige und etwas gefühlsarme Persönlichkeit gesehen werden“.
Problematisch wird es, wenn wir zufälligerweise nicht wissen, wie die Ohren des Menschen aussehen, über den wir uns ein Bild machen möchten. Dringend müßte das Werk „Was uns das Wesen eines Menschen über dessen Ohren verraten“ geschrieben werden. Nehmen wir Otto Schily, den SPD-Schatten- Innenminister. Nachdem er in dieser Woche laut darüber nachgedacht hat, daß SPD und Grüne fusionieren sollten, würden wir gern Schilys Ohren kennen. Er scheint harmoniebedürftig zu sein. Statt wie SPD- Kanzlerkandidat Gerhard Schröder die Grünen als nicht regierungstauglich zu bezeichnen, will er sie lieber in den warmen Schoß der Sozi-Familie aufnehmen. Schilys Ohrmuschel muß herzförmig sein. Andererseits verrät sein Vorstoß den hinterhältigen Versuch, des Kanzlers Vision von einer schwarz-grünen Regierung zu vereiteln. Wo kein Grün mehr ist, kann es schließlich keine schwarz-grüne Koalition geben.
Ergo ist die Außenleiste seines Ohres schlangenförmig. In der nächsten Woche beschäftigen wir uns mit einem Buch über Nasen. Im Kapitel „gute Riecher“ werden wir Otto Schily wiederfinden. Markus Franz
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