: Der Mauerküsser kommt
Auch den Papst hält nichts mehr im Vatikan ■ M A U E R B L I C K
Zuerst die schlimme Nachricht: der Papst kommt nach Berlin, das drohte der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz für 1991 an. Den Fall der Mauer bedauert der Deutsche Vogelschutzbund: im Grenzraum hätten sich wertvolle Lebensräume für Seeadler, Schwarzstörche und Blaukehlchen gebildet. Die Grenze solle Naturschutzpark werden. 7,7 Millionen Visa sind bisher an DDR-Bürger ausgestellt worden. West-Berlin bereitet sich auf den allwochenendlichen Ausnahmezustand vor. Die Verkehrsbetriebe stocken um 50 U und S-Bahnwagen auf und importieren 116 Busse aus der BRD. Nur die Fahrer hätten ohne Grenze ihre Grenzen erreicht. An allen Übergängen werden Toilettencontainer, Polizeibeamte und Mülltonnen aufgestellt. Reichs- und Bundesbahn werden ab heute zahlreiche neue Schnell-, Eil- und Sonderzüge zwischen BRD- und DDR-Bahnhöfen einsetzen.
Mangels Publikumsinteresses ist auch die Ständige Vertretung Bonns in Ost-Berlin wieder geöffnet. Sie war im August geschlossen worden, nachdem sich 131 DDR-Bürger dorthin geflüchtet hatten. Die Übersiedler werden weiter weniger: Bis gestern morgen waren es 2.300, tausend weniger als am Tag zuvor.
Der IG-Chemie-Vorsitzende Rappe versprach, den Leber -Biedenkopf-Vorschlag „ernsthaft zu prüfen“, wonach am bisherigen Nationalfeiertag 17. Juni zugunsten einer DDR -Stiftung gearbeitet werden sollte. Der bayerische DGB und die DAG halten die ausgedehnten Ladenöffnungszeiten für einen „schlechten Scherz“, der nur den Konsumrausch der DDRler anheize. In Sachen Phantasie meldet sich auch Peking zu Wort: Eine Wiedervereinigung sei möglich, falls es „für den Frieden und die Stabilität in Europa vorteilhaft“ wäre. Durch Krenz‘ Abweichen vom Tiananmen-Kurs werde sich China vom eigenen Weg jedoch nicht abbringen lassen, meinte Ministerpräsident Li Peng.
smo
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen